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Deutschland und 20 andere EU-Ländern stimmen ab

Mehr als 400 Millionen Wahlberechtigte in 28 Staaten - die Superwahl in Europa geht zu Ende. Sorgen vor einem Erstarken rechter EU-Kritiker bestimmten den Wahlkampfendspurt. Wie entscheiden die Bürger?

Wahlkabinen in Lyon
Wahlkabine im französischen Lyon. Foto: Laurent Cipriani/AP
Wahlkabine im französischen Lyon. Foto: Laurent Cipriani/AP

Brüssel/Berlin (dpa) - Superwahltag in Europa: Zum Abschluss der viertägigen Europawahl bestimmen Deutschland und 20 weitere Länder an diesem Sonntag ihre neuen Abgeordneten für das Europäische Parlament.

Erwartet werden Verluste bei Christ- und Sozialdemokraten im Vergleich zur Wahl 2014 und Erfolge rechter EU-Kritiker in wichtigen Ländern. Liberalen und Grünen werden Zugewinne vorhergesagt.

Der Wahlausgang könnte nicht nur die Europäische Union, sondern auch die große Koalition in Berlin erschüttern. Auf Deutschland, wo es knapp 65 Millionen Wahlberechtigte gibt, entfallen 96 Sitze im EU-Parlament. Union und SPD müssen fürchten, dass sie bei der Europawahl auf ihre jeweils historisch schlechtesten Ergebnisse fallen. Die Grünen könnten nach Umfragen vor der SPD zweitstärkste Kraft werden, erstmals überhaupt bei einer bundesweiten Wahl.

Nach Schließung der deutschen Wahllokale um 18 Uhr werden am Abend erste Prognosen aus allen 28 EU-Staaten zur Verteilung der 751 Mandate im EU-Parlament veröffentlicht (ab etwa 19.30 Uhr). Die letzten Wahllokale schließen um 23.00 Uhr in Italien. Danach folgen offizielle Ergebnisse.

Mit Spannung wird in Deutschland auch der Ausgang der Bürgerschaftswahl in Bremen erwartet. Im kleinsten deutschen Bundesland muss die seit mehr als 70 Jahren allein oder in Koalitionen regierende SPD nach Umfragen mit starken Stimmverlusten rechnen. Die oppositionelle CDU kann dort auf einen Regierungswechsel hoffen. Zudem finden in zehn Bundesländern Kommunalwahlen statt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte an die Deutschen, wählen zu gehen. »Ein demokratisches Deutschland in einem vereinten Europa, das ist ein großes Glück«, sagte er am Sonntag bei der Stimmabgabe in einem Wahllokal in Berlin. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) warb via Twitter für die Wahl. »Wir dürfen nicht den gleichen Fehler machen wie viele Briten, als sie nicht zur Brexit-Abstimmung gegangen sind.« 2016 hatte überraschend eine knappe Mehrheit der Briten für einen EU-Ausstieg des Landes gestimmt.

Das Interesse an der Europawahl ist in Deutschland größer als früher. Im Wahlkampf war immer wieder die Rede von einer Schicksalswahl, weil rechte EU-Kritiker in einer neuen Allianz das weitere Zusammenwachsen der Gemeinschaft stoppen wollen.

In Italien dürfte die rechtspopulistische Lega von Innenminister Matteo Salvini stärkste Partei werden. Dies könnten auch die Partei der Nationalistin Marine Le Pen in Frankreich sowie die Brexit-Partei in Großbritannien schaffen. Die Alternative für Deutschland (AfD) lag in Umfragen bei rund zwölf Prozent.

EU-freundliche Parteien werden aber voraussichtlich auch im neuen Parlament rund zwei Drittel der Abgeordneten stellen. Ob sie breite Bündnisse schaffen, beeinflusst nicht nur die Handlungsfähigkeit der Union, sondern auch die Besetzung von EU-Spitzenpositionen.

Auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten hoffen der CSU-Politiker Manfred Weber, dessen Europäische Volkspartei (EVP) stärkste Kraft bleiben dürfte, sowie der Sozialdemokrat Frans Timmermans, der mit seiner Partei in den Niederlanden nach Prognosen überraschend vorne lag. Amtsinhaber Jean-Claude Juncker, der wie Weber aus der christdemokratisch-konservativen Parteienfamilie der EVP kommt, scheidet aus. Wenn Weber es schafft, nach der Wahl eine Mehrheit im Parlament zu organisieren, könnte er erster Deutscher auf dem Posten seit mehr als 50 Jahren werden.

Die Grünen, die wie die Liberalen Königsmacher sein könnten, ließen bereits wissen, für zählten nur Inhalte. »Wir werden niemanden wählen, der oder die beim Klimaschutz und beim sozialen Zusammenhalt nichts liefert«, sagte Fraktionschefin Ska Keller der Deutschen Presse-Agentur.

Die SPD lag in Umfragen für die Europawahl bei nur etwa 17 Prozent, nach 27,3 Prozent 2014. Doch auch die Union muss nach Umfragen mit rund 28 Prozent ein schwaches Ergebnis fürchten. 2014 waren es 35,4 Prozent, 2017 bei der Bundestagswahl 32,9 Prozent.

In Brüssel haben sich für diese Wahl rund 1300 Medienvertreter akkreditiert, so viele wie nie zuvor, wie ein Parlamentssprecher sagte. Der Plenarsaal des EU-Parlaments verwandelt sich in ein riesiges Medienzentrum.

Im Wahlkampf schien zunächst Migration das große Thema, zumal die EU über das Asylrecht tief zerstritten ist. Die Jugenddemos schoben dann aber den Umwelt- und Klimaschutz nach vorn. Gestritten wurde unter anderem über eine CO2-Steuer. Auch der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt der EU wurde heiß diskutiert, darunter die Streitfragen Mindestlöhne und Mindeststeuern, sowie grundsätzliche EU-Reformen. Die Parteien der Mitte forderten mehr Rechte für das EU-Parlament, während zum Beispiel die AfD die Volksvertretung abschaffen will.

Zur Europawahl aufgerufen waren am Sonntag nicht nur die Bürger in Deutschland, sondern auch die in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Litauen, Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien, Ungarn und Zypern. Die Wahl hatte am Donnerstag in den Niederlanden und Großbritannien begonnen. Das Vereinigte Königreich wählte trotz des angekündigten Brexits mit, weil der EU-Austritt nicht rechtzeitig gelang.

Zusammen mit der Europawahl wurden am Sonntag in Belgien ein neues Parlament und die Vertretungen mehrerer Regionen gewählt. In Litauen entschieden die Bürger in einer Stichwahl über ihr neues Staatsoberhaupt. In Spanien gab es noch Regional- und Kommunalwahlen.

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