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Deutschland soll spätestens 2038 aus der Kohle raus

Ein guter Kompromiss macht bekanntlich niemanden ganz glücklich. So ist es auch mit dem Plan für den Kohleausstieg. Immerhin: Fast die komplette Kohlekommission hat nach langem Hin und Her zugestimmt. Und jetzt? Geht die Arbeit erst richtig los.

Braunkohletagebau Hambach
Ein Schaufelradbagger arbeitet im verschneiten Tagebau Hambach. Foto: Federico Gambarini
Ein Schaufelradbagger arbeitet im verschneiten Tagebau Hambach. Foto: Federico Gambarini

Berlin (dpa) - Der letzte Meiler geht 2038 vom Netz - und Länder, Industrie und Kumpel bekommen Milliardenhilfen: Das Konzept für den Kohleausstiegs Deutschland liegt vor.

Nach monatelangen Beratungen brauchten die Klimaschützer, Gewerkschafter, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler in der Kohlekommission noch einmal fast 21 Stunden für einen Kompromiss, mit dem 27 der 28 Mitglieder leben konnten. Nach dpa-Informationen stimmte nur die CDU-Politikerin Hannelore Wodtke mit Nein, die sich besonders für den Erhalt der Dörfer am Rand der Tagebaue eingesetzt hatte.

Die Umweltverbände hätten sich ein früheres Enddatum für die klimaschädliche Stromgewinnung aus Braun- und Steinkohle gewünscht, außerdem konkretere Zwischenziele. 2032 soll überprüft werden, ob das Ausstiegsdatum angesichts der Lage und im Einvernehmen mit den Betreibern auf frühestens 2035 vorgezogen werden kann - darauf pochen sie nun.

»Erst im Jahr 2038 aus der Kohle auszusteigen, ist für Greenpeace inakzeptabel« sagte Geschäftsführer Martin Kaiser, dies habe der Verband in einem Sondervotum klar gemacht. Immerhin: »Nach Jahren im klimapolitischen Wachkoma bewegt sich Deutschland zumindest wieder.«

Die Umweltschützer feiern als Erfolg, dass der Erhalt des Hambacher Forsts in Nordrhein-Westfalen gesichert sei - im Abschlussbericht steht, die Kommission halte das für »wünschenswert«. Der Wald war zu einem Symbol der Anti-Kohle-Proteste geworden, weil er dem Braunkohlebagger des Energiekonzerns RWE weichen sollte.

Den Kohleländern Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen dürfte das Finanzielle besonders wichtig sein: Die Länder sollen vom Bund über 20 Jahre insgesamt 40 Millionen Euro Hilfe für den Strukturwandel bekommen, dazu soll die Verkehrsanbindung der Kohleregionen über ein zusätzliches Programm verbessert werden.

Es seien zähe Verhandlungen gewesen, hieß es in Teilnehmerkreisen - die Kommission habe mehrmals vor dem Scheitern gestanden, oder jedenfalls vor der Vertagung auf die folgende Woche. Immer wieder berieten die Verhandler aus Industrie, Gewerkschaften, Politik, Umweltverbänden und Wissenschaft in kleineren Gruppen. Abends um halb acht brachte ein Lieferdienst acht Taschen Pizza an den Eingang des Berliner Bundeswirtschaftsministeriums. Während Sitzungsleiter Ronald Pofalla zwischen Interessengruppen zu vermitteln suchte, schauten andere Kommissionsmitglieder das Halbfinale der Handball-Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Norwegen.

Um kurz vor 5 Uhr morgens dann kamen die Verhandler aus dem Bundeswirtschaftsministeriums - sichtlich erschöpft, wenige ganz zufrieden. Denn die Einigung ist ein klassischer Kompromiss, und zwar ein ziemlich teurer. Privathaushalte und die Wirtschaft sollen ab 2023 von möglichen steigenden Strompreisen entlastet werden, was zwei Milliarden Euro pro Jahr kosten könnte. Dazu kommen weitere Subventionen der energieintensiven Industrie sowie Hilfen für Kohle-Kumpel, die früher aus dem Job ausscheiden und diejenigen, die einen neuen Job brauchen.

Und natürlich das Geld für die Länder, die mit einer Intervention bei der Kanzlerin die Kommission bereits in die Verlängerung gezwungen hatten. Nun bekommen sie - wenn die Politik der Kommission folgt - die gesetzliche Absicherung der Bundeshilfen per Staatsvertrag. Schon Ende April sollen Eckpunkte für ein »Maßnahmengesetz« vorliegen, das festschreibt, wie der Bund den Strukturwandel genau fördern will. 5000 neue Arbeitsplätze durch die Bundesregierung bis 2028 hält die Kommission für »angemessen«.

Vor allem Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ist jetzt gefragt. Am Donnerstagabend wollen die Ministerpräsidenten mit ihm und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beraten.

Rund ein Drittel des Stroms kommt heute noch aus Kohlekraftwerken. Bis 2022 steigt Deutschland aus der Atomenergie aus. Auch Kohlekraftwerke werden ohnehin schon nach und nach vom Netz genommen, aber die Klimaschutzziele machen einen schnelleren Ausstieg notwendig. Eigentlich wäre erst in den späten 40er Jahren Schluss gewesen. Als schneller Einstieg in den Ausstieg sollen nun bis 2022 insgesamt sieben Gigawatt Kohle-Kapazität zusätzlich vom Netz, davon drei Gigawatt Braunkohle, deren CO2-Bilanz besonders klimaschädlich ist.

Die Energiewirtschaft lobte, der Kompromiss der Kommission biete Planungssicherheit für die Firmen. Die Eigentumsrechte der Firmen würden gewahrt, so der Branchenverband BDEW. Das zielt auf die Regelung, dass Kraftwerksbetreiber Entschädigungen für Stilllegungen bekommen könnten - die Kosten dafür könnten in die Milliarden gehen.

Auch die Arbeitnehmer zeigten sich den Umständen entsprechend zufrieden. »Keiner der Beschäftigten fällt auf die Knie«, sagte der Chef der Bergbaugewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis. Vor allem in der Lausitz, im Mitteldeutschen und im Rheinischen Revier hängen noch Tausende Jobs an der Braunkohle. Es soll ein »Anpassungsgeld« für Beschäftigte ab 58 Jahre geben, die die Zeit bis zum Renteneintritt überbrücken müssen, sowie einen Ausgleich von Renten-Einbußen. Geschätzte Kosten: bis zu fünf Milliarden Euro, die Bund und Unternehmen sich teilen könnten.