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Der geheimnisvolle Besuch des Olaf Scholz im Weißen Haus

Keine Journalisten mit im Flieger, keine Pressekonferenz, Gespräch unter vier Augen mit Biden. Der zweite Besuch des Kanzlers im Weißen Haus hat etwas Geheimnisvolles. Eine Botschaft gibt es trotzdem.

Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz ist zum zweiten Mal in seiner Amtszeit nach Washington gereist. Foto: Susan Walsh
Bundeskanzler Olaf Scholz ist zum zweiten Mal in seiner Amtszeit nach Washington gereist.
Foto: Susan Walsh

Der Einblick, den die Öffentlichkeit in dieses wichtige Treffen zweier der mächtigsten Männer der Welt bekommt, dauert vier Minuten. Links Bundeskanzler Olaf Scholz, rechts US-Präsident Joe Biden. Beide in rustikalen Sesseln vor dem Kamin des Oval Office, dem Arbeitszimmer des Präsidenten im Weißen Haus.

Die Botschaft nach außen ist einfach: Wir sind uns einig. Sowohl bei der Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine, aber auch sonst so.

»Ich schätze wirklich die sehr gute Zusammenarbeit zwischen uns beiden«, sagt Scholz in ziemlich gutem Englisch zu Biden. Das Lob des US-Präsidenten für seinen Gast aus Deutschland fällt deutlich überschwänglicher aus. »Ich möchte Ihnen für Ihre starke und beständige Führung danken. Das meine ich aufrichtig. Das hat einen großen Unterschied gemacht«, sagt Biden. Deutschland habe entscheidende militärische und moralische Hilfe für die Ukraine geleistet. »Ich würde sagen, dass neben der militärischen Unterstützung auch die moralische Unterstützung, die Sie den Ukrainern gegeben haben, von großer Bedeutung war. Ja, sie war von großer Bedeutung.«

Keine Pressekonferenz - keine Journalisten mit im Flieger

Danach fällt der Vorhang für die Öffentlichkeit. Die beiden reden weiter unter vier Augen, ohne Berater und Protokollanten. Eine Pressekonferenz im Anschluss, die es bei solchen Treffen eigentlich immer gibt, war von vorneherein nicht geplant. Scholz hat deswegen auch anders als sonst keine Journalisten aus Berlin mitgebracht. Sonst sind es um die 25. Die nagelneue Regierungsmaschine »Konrad Adenauer« blieb auf dem Flug nach Washington ziemlich leer.

Diese Reise hat also etwas Geheimnisvolles. Bereits vor seinem Abflug sagt Scholz, dass Videokonferenzen und Telefonate nicht dasselbe seien wie persönliche Gespräche. Deswegen der lange Flug für diesen einen offiziellen Termin in Washington. Es gibt einiges zu bereden. Wie geht es weiter bei der Versorgung der Ukraine mit Waffen und Munition? Wie geht man mit den zunehmenden Forderungen nach Verhandlungen um? Welche Sicherheitsgarantien kann man der Ukraine langfristig geben? Und wie kann man China sanktionieren, wenn es Waffen an Russland liefert?

Biden ließ Berlin bei seiner Europa-Reise links liegen

Eigentlich hätte das Gespräch auch schon vergangene Woche stattfinden können, als Biden die Ukraine und Polen besuchte. Der US-Präsident machte aber nur einen kurzen Zwischenstopp auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz. Auf den ersten Berlin-Besuch Bidens seit dessen Vereidigung vor gut zwei Jahren muss Scholz weiter warten.

Umgekehrt ist der Kanzler nun schon zum zweiten Mal in den 15 Monaten seit seinem Amtsantritt in Washington. Nach der Ankunft betont er am Freitag, die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA seien so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr. »Ich glaube das ist wichtig in diesen Zeiten, in denen wir herausgefordert sind durch den furchtbaren Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine«, sagt er. Die Grundlage dafür sei Vertrauen, das dadurch entstehe, dass man immer wieder miteinander spreche. »Das ist genau, was wir tun.«

Brüder im Geiste: Unspektakulär, besonnen, ergebnisorientiert

Für Scholz ist es nicht nur ein Besuch bei seinem mächtigsten Verbündeten, sondern auch bei einem politischen Freund, den er als Bruder im Geiste sieht. Wenn Scholz über Biden spricht, gerät er fast ins Schwärmen. Auf der internationalen Bühne gibt es kaum jemanden, der vom politischen Stil her so gut zu ihm passt wie der 80-jährige US-Präsident: unspektakulär, aber auch unaufgeregt, besonnen und vor allem ergebnisorientiert.

Im Umgang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist Biden für Scholz so etwas wie eine Leitfigur geworden. Wenn der Kanzler davon spricht, dass er bei den Waffenlieferungen keine Alleingänge machen möchte, meint er vor allem: nicht ohne die Amerikaner. Das war bei der Lieferung von Mehrfachraketenwerfern so, bei den Patriot-Luftabwehrsystemen und bei den Schützenpanzern. Bei den Kampfpanzern lief es dann aber nicht so glatt und einvernehmlich.

Botschaft des Biden-Beraters vor dem Besuch

Ende Januar verkündeten Scholz und Biden zwar fast synchron, dass Deutschland Leopard-2-Panzer und die USA ihre Abrams in die Ukraine liefern würden. Auch dankte der US-Präsident dem Kanzler für dessen »Führungsstärke« und »sein unerschütterliches Engagement« für die Ukraine. Doch schon damals gab es Berichte, Scholz habe die Lieferung der Abrams zur Bedingung für seine Leopard-Zusage gemacht. Das Kanzleramt dementierte das. Biden, dessen Verteidigungsministerium den Einsatz von Abrams in der Ukraine bislang als unpraktikabel eingestuft hatte, beteuerte, er sei nicht zur Zustimmung »gezwungen worden«.

Doch kurz vor dem Kanzler-Besuch im Weißen Haus meldete sich Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan in einem Fernsehinterview mit der überraschenden Aussage zu Wort, dass es ein solches Junktim doch gegeben habe. Im Interesse »der Einheit des Bündnisses« und »um sicherzustellen, dass die Ukraine bekommt, was sie will«, habe Biden der langfristigen Lieferung von Abrams-Panzern zugestimmt - obwohl sie nicht das seien, was die Ukraine im Moment militärisch brauche.

Der Zeitpunkt von Sullivans Aussage und das gewählte Format vermitteln den Eindruck, dass die US-Regierung gezielt eine Botschaft an den Adressaten Scholz loswerden wollte. Am Freitag im Oval Office wirkten die beiden zumindest nach außen so, als sei wieder alles gut. Ob das wirklich so ist? Unklar.

Konfliktthema US-Investitionsprogramm

Noch ein anderes Thema birgt derzeit Konfliktpotenzial zwischen den USA und Deutschland. Biden hat im vergangenen Sommer ein milliardenschweres US-Investitionsprogramm auf den Weg gebracht. Es sieht Investitionen in den Klimaschutz vor, knüpft viele Subventionen und Steuergutschriften aber daran, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren. Das Inflationsbekämpfungsgesetz, auf Englisch Inflation Reduction Act (IRA), ist ein wichtiger innenpolitischer Erfolg für den US-Präsidenten.

In Berlin und Europa aber kommt Bidens »Made in America«-Ansatz nicht so gut an. Die Sorge vor Wettbewerbsnachteilen ist groß. Scholz forderte in einer Regierungserklärung Anfang Februar ein Entgegenkommen der USA und warnte vor einem Subventionswettlauf. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und sein französischer Kollege Bruno Le Maire warben etwa zeitgleich in Washington für eine europafreundliche Anwendung des Gesetzes, kehrten aber ohne konkrete Zusagen zurück.

Merz gefällt die Vertraulichkeit nicht

Die Opposition in Berlin zeigt sich pikiert von der Vertraulichkeit dieser Reise. »Niemand von uns im Parlament und in der deutschen Öffentlichkeit kennt den Grund für diese Reise«, kritisierte CDU-Chef Friedrich Merz im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitag). Ob es jemals Aufklärung geben wird? Unklar.

© dpa-infocom, dpa:230303-99-809720/10