SPD und Grüne dringen darauf, noch diese Woche über neue staatliche Hilfen gegen die hohen Preise zu entscheiden. Bevor der Bundestag ab Dienstag den Etat für 2023 berate, müsse Klarheit herrschen, sagten die Fraktionsspitzen.
Doch im engen Zeitplan von Kanzler, Parteispitzen und Ministern Raum für einen Koalitionsausschuss zu finden, scheint schwierig. Genau wie die Debatte über das Geld. Der Katalog möglicher Entlastungsmaßnahmen dagegen formiert sich langsam.
Wieviel Geld ist da? Wieviel braucht man?
Finanzminister Christian Lindner macht im Bundeshaushalt für dieses Jahr für das Entlastungspaket noch Spielräume im einstelligen Milliardenbereich aus. Das Geld könne er unter anderem deswegen zusammenkratzen, weil die Steuereinnahmen besser ausfielen als erwartet, sagte der FDP-Politiker bei der Kabinettsklausur in Meseberg.
Die Grünen halten das allerdings nicht für ausreichend. »Wir plädieren für unterschiedliche Maßnahmen, die zielgerichtet sind«, sagte Fraktionschefin Katharina Dröge am Rande einer Tagung des erweiterten Fraktionsvorstands in Potsdam. »Das wird mit Sicherheit nicht im einstelligen Milliardenbereich sein, worauf sich die Koalition dort verständigen sollte.« Die bisherigen zwei Pakete hatten ein Volumen von zusammen rund 30 Milliarden Euro.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich würde auch einen Nachtragshaushalt nicht kategorisch ausschließen. »Ich biete auch an, über einen Nachtragshaushalt dann nachzudenken, wenn es notwendig ist«, sagte er dem Radiosender Bayern2-radiowelt. Im Haushalt gebe es aber sicher Mittel, die nicht ausgegeben würden. »Hier hat der Finanzminister auch Spielraum.« Grüne und SPD können sich zur Finanzierung von Entlastungsmaßnahmen weiterhin auch eine Sondersteuer auf überhohe Gewinne von Unternehmen vorstellen - was die FDP als kaum umsetzbar ablehnt.
Die Entscheidung über das dritte Entlastungspaket soll in einer Sitzung des Koalitionsausschusses fallen, dem Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), Finanzminister Lindner und die Spitzen der Koalitionsfraktionen im Bundestag und der drei Ampel-Parteien angehören. Ein Termin war am Donnerstag zunächst noch nicht bekannt.
Mützenich sprach sich dafür aus, die Entscheidung nicht in einer Nachtsitzung zu treffen. »Es gibt manche Kolleginnen und Kollegen, die sich die Nacht um die Ohren schlagen, da gibt es unterschiedliche Vorlieben. Ich muss sagen: Ich möchte sehr konzentriert an einer solchen Entscheidung mitwirken.«
Alle drei Koalitionspartner und dazu zahlreiche Verbände und Lobbygruppen hatten in den vergangenen Wochen für ihre Entlastungsvorschläge geworben. Zuletzt näherten sie sich in einigen Punkten offenkundig an. Eine Übersicht, welcher Koalitionspartner wie ins Rennen geht - und was Wissenschaftler tun würden:
SPD
Die Spitze der SPD-Fraktion hat einen Forderungskatalog vorgelegt, der am Freitag bei der Fraktionsklausur beschlossen werden soll. Dazu gehören Direktzahlungen für Menschen mit wenig Einkommen, Familien, Rentner, Studierende und Auszubildende. Niemandem sollen Strom und Gas abgestellt werden, weil er Nebenkosten nicht zahlen kann. Auch Kündigungen aus diesem Grund sollen für sechs Monate verboten sein. Um die Energiepreise zu drücken, soll es bei Strom und Gas eine Preisbremse für den Grundbedarf geben. Die anstehende Erhöhung des CO2-Preises soll für zwei Jahre ausgesetzt werden, was die Grünen bereits abgelehnt haben. Es soll ein bundesweit gültiges Nahverkehrsticket für 49 Euro geben.
Grüne
Die Grünen haben keinen offiziellen Forderungskatalog, die Fraktionsspitze hat aber Hilfen für Grundsicherungsempfänger, Menschen mit kleinen Renten, mit kleinen Einkommen und Familien mit Kindern vorgeschlagen. Dazu gehören Reformen von Bürgergeld und Wohngeld. Der Heizkostenzuschuss solle steigen und eine weitere Energiepauschale ausgezahlt werden. Für Familien wollen die Grünen zum Beispiel einen höheren Kinderbonus. Wie die SPD unterstützen sie ein Moratorium auf Strom- und Gassperren und ein 49-Euro-Ticket.
FDP
Die Liberalen setzen vor allem auf Erleichterungen für die arbeitende Bevölkerung. Das Paket solle nur wenige Maßnahmen und kein Sammelsurium haben, fordert die Fraktion. »Politische Maßnahmen werden nicht jede Zumutung nehmen und nicht jede Belastung ausgleichen können«, heißt es in einem Beschlusspapier. Aber ohne Entlastungen werde es nicht gehen.
Im Zentrum steht ein Inflationsausgleich bei der Einkommensteuer. Einmalzahlungen will die FDP vor allem für Rentner und Studierende, generell findet sie sie weniger sinnvoll. Auch die Liberalen unterstützen eine Reform des Wohngelds mit mehr Berechtigten. Außerdem sollen Gas- und Strompreis entkoppelt werden, damit bei steigenden Gaspreisen nicht automatisch auch der Strom teurer wird.
Wissenschaftler
Eine wissenschaftliche Studie von DIW Econ, einem Tochterunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, empfiehlt eine Abfederung der hohen Kosten ohne zusätzliche Belastung für die Umwelt. Geeignet seien ein Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger sowie ein 29-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr. Von einem Gaspreisdeckel für den Grundbedarf raten die Wissenschaftler im Auftrag der 140 Mitglieder umfassenden Klima-Allianz ab. Er liefere keinen Anreiz zum Energiesparen. Bei Pauschalzahlungen wie einem Heizkostenzuschuss dagegen bleibe der Anreiz bestehen, den eigenen Energieverbrauch zu reduzieren. Darüber hinaus wird in der Studie vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Lebensmittel abzusenken und auf Fleisch zu erhöhen.
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