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Das Ende von Boris Palmer bei den Grünen

Die Beziehung zwischen Boris Palmer und den Grünen war nie einfach. Mit polarisierenden Aussagen brachte er vor allem die linken Vertreter seiner Partei gegen sich auf. Jetzt hat er seinen Austritt erklärt.

Boris Palmer
Die Aufregung um seine Äußerungen in Frankfurt ist nicht die erste, die Boris Palmer mit pointierten Aussagen ausgelöst hatte. Foto: Marijan Murat
Die Aufregung um seine Äußerungen in Frankfurt ist nicht die erste, die Boris Palmer mit pointierten Aussagen ausgelöst hatte.
Foto: Marijan Murat

Es kann in der Politik manchmal schnell gehen: Ende Oktober jubelte Boris Palmer noch auf dem Tübinger Marktplatz über seinen dritten Wahlsieg als Oberbürgermeister, dirigierte mit großer Geste die angetretene Blaskapelle - und es schien nur eine Frage der Zeit, bis die Grünen ihren wohl bekanntesten Bürgermeister wieder in die Partei aufnehmen würden. Seit gestern Abend ist klar: Die Geschichte von Boris Palmer und den Grünen ist beendet - nach einem Eklat wegen Äußerungen Palmers zum Judenstern und Vorwürfen des Rassismus gegen ihn.

Der 50-Jährige, dessen Mitgliedschaft eigentlich nur noch bis Ende 2023 ruhen sollte, ist aus der Partei ausgetreten. Seine Austrittserklärung sei eingegangen, der Austritt gelte unmittelbar, teilte eine Sprecherin des Landesverbands gestern in Stuttgart mit. Palmer bestätigte der Deutschen Presse-Agentur den Austritt.

Das vorläufige Ende der Palmer-Debatte

Der Austritt markiert das vorläufige Ende einer heftigen Debatte rund um Palmer. Er hatte am Freitag mit einer verbalen Auseinandersetzung mit einer Gruppe vor einer Migrationskonferenz in Frankfurt am Main für Aufsehen gesorgt. Vor einem Gebäude der Goethe-Universität hatte er zu Art und Weise seiner Verwendung des »N-Wortes« Stellung bezogen.

Als er mit »Nazis raus«-Rufen konfrontiert wurde, sagte Palmer zu der Menge: »Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach.« Mit dem sogenannten N-Wort wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.

Nach seinen Äußerungen in Frankfurt war es innerhalb von wenigen Tagen sehr einsam um den Tübinger Oberbürgermeister geworden, auch enge Wegbegleiter distanzierten sich von ihm. Palmers Anwalt, Rezzo Schlauch, der ihn noch im gegen ihn gerichteten Parteiausschlussverfahren vertreten hatte, sagte: »Unmittelbar nach Kenntnis über den von Boris Palmer in Frankfurt zu verantwortenden Eklat habe ich ihm meine persönliche und meine politische Loyalität und Unterstützung sowie meine juristische Vertretung aufgekündigt.«

Enge Wegbegleiter distanzieren sich

Schlauch, der früher selber für die Grünen politisch aktiv war, erklärte weiter: »Keine noch so harte Provokation, keine noch so niederträchtigen Beschimpfungen und Beleidigungen von linksradikalen Provokateuren rechtfertigten, eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen. Da gibt es nichts mehr zu erklären, zu verteidigen oder zu entschuldigen.« Schlauch hatte Palmer auch beim Wahlkampf in Tübingen unterstützt.

Auch andere Vertreter der Grünen gingen deutlich auf Abstand. Der Grünen-Stadtverband Tübingen verurteilte »die wiederholte Verwendung des N-Wortes und den inakzeptablen Vergleich mit dem Judenstern« durch Palmer. »Wir bedauern, dass erneut durch Aussagen von Boris Palmer viele Menschen verletzt wurden.« Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, schrieb auf Twitter von einem »neuerlichen Tiefpunkt von Boris Palmer«. Sie nannte seinen Austritt am Abend »folgerichtig«.

Palmer selbst veröffentlichte gestern eine persönliche Erklärung und kündigte eine Auszeit an. Er schrieb, er entschuldige sich bei den Menschen, »die ich enttäuscht habe«, und betonte mit Blick auf seine Worte in Frankfurt, er hätte als Oberbürgermeister »niemals so reden dürfen«. Dass der Eindruck entstanden sei, er würde den Holocaust relativieren, »tut mir unsagbar leid«.

Palmer will »professionelle Hilfe« in Anspruch nehmen

Weiter schrieb Palmer: »Eines ist mir klar: So geht es nicht weiter.« »Die wiederkehrenden Stürme der Empörung kann ich meiner Familie, meinen Freunden und Unterstützern, den Mitarbeitern in der Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und der Stadtgesellschaft insgesamt nicht mehr zumuten.« Er wolle in seiner Auszeit »professionelle Hilfe« in Anspruch nehmen, um eine bessere Selbstkontrolle zu erlangen. »Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht.«

Wie genau die Auszeit aussehen solle, erklärte Palmer nicht. Er schrieb: »Solange ich nicht sicher bin, neue Mechanismen der Selbstkontrolle zu beherrschen, die mich vor Wiederholungen sichern, werde ich alle Konfrontationen mit ersichtlichem Eskalationspotenzial durch Abstinenz vermeiden.«

Die Aufregung um seine Äußerungen in Frankfurt ist nicht die erste, die Palmer mit pointierten Aussagen ausgelöst hatte. Bereits im Mai 2021 hatte er in einem Facebook-Beitrag über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, der einen nigerianischen Vater hat, das sogenannte N-Wort benutzt. Dies hatte massive Kritik auch bei seinen damaligen grünen Parteikollegen ausgelöst. Ein Parteiausschlussverfahren endete vor einem Jahr mit dem Kompromiss, dass Palmer seine Parteimitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lässt. Im Oktober 2022 war er in Tübingen als unabhängiger Kandidat angetreten und im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden. Er ist seit 2007 Oberbürgermeister der Universitätsstadt.

Frühere Kontroversen

Auch mit pointierten Äußerungen zur Flüchtlingspolitik sorgte er immer wieder für Kontroversen und sah sich Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Bundesweite Aufmerksamkeit und Anerkennung gab es aber auch sein Management während der Corona-Pandemie sowie seine kommunale Umweltpolitik.

Zurück zur Wahlparty auf dem Tübinger Marktplatz: Dass sich die Grünen nach der Wiederwahl auf einen lauten und unbequemen Boris Palmer einstellen müssen, machte der alte und neue Oberbürgermeister schon am Wahlabend im Oktober 2022 deutlich. Zu den Journalisten sagte er: »Warum sollte ein Oberbürgermeister, der zum dritten Mal mit Mehrheit gewählt wird, seinen Stil ändern?«

© dpa-infocom, dpa:230501-99-520749/3