»Er gehört zu mir« - beschwingt haben Daniel Günther und Monika Heinold in der Kieler Landtagswahlnacht zu diesem alten Schlager von Marianne Rosenberg zusammen getanzt. Der Titel könnte im Norden zum politischen Motto werden.
Die Grünen-Spitzenkandidatin möchte zu gern mit dem Ministerpräsidenten von der CDU weiterregieren. Günther wiederum will mit der Finanzministerin und FDP-Spitzenkandidat Bernd Buchholz über eine Neuauflage der Koalition ihrer drei Parteien reden, obwohl es locker für ein Zweierbündnis reichen würde. Buchholz tanzte übrigens auch auf der CDU-Party.
Übergroße Koalition
Als Günther trotz des haushohen Wahlsiegs und der neuen Konstellation mit gestärkten Grünen und geschwächter FDP erklärte, er wolle bei Jamaika bleiben, hielten viele das für pure Taktik. Doch nächsten Dienstag will er das angehen. Seine Partei zieht mit, weil sie ihrem Erfolgsgaranten nichts abschlagen kann. Bei Grünen und FDP ist anfängliche Ablehnung neuer Offenheit gewichen. Am Ende könnte eine übergroße Koalition stehen - so nennt das die Politikwissenschaft.
»Ich weiß, dass das ungewöhnlich ist«, sagt Günther. Seine Erzählung geht sinngemäß so: Jamaika war gerade als Trio erfolgreich, weil alle drei so unterschiedlichen Parteien Gutes einbrachten und gemeinsam Gutes leisteten. Und drei Viertel der Wähler seien für Jamaika, die »Wunschkoalition« der Bürger.
Im Raum steht aber auch, ob sich Günther nicht zwischen Grünen und FDP entscheiden mag. Will er keinen rausschubsen? Müsste höchstens einer von sich aus gehen? Oder fürchtet er, seine Beliebtheit könnte Schaden nehmen, falls er Grünen oder FDP Tschüss sagt? FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki hat das so ausgesprochen.
Ein Kapitel neuer Politikkultur
Nur CDU und Grüne hätten eine Zweidrittel-Mehrheit im Landtag, das reicht für Verfassungsänderungen. In Zweierbündnissen könnten die Beteiligten deutlich stärker eigene Positionen durchsetzen. Aber es geht ja - entgegen machtpolitischen Lehren - um das Gesamtkonstrukt.
Mit einer unerzwungenen Koalition so weit »über den Durst« würde der Norden an einem Kapitel neuer Politikkultur schreiben. »Das ist zum einen ein sehr kluger Schachzug von Herrn Günther«, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. »Denn das ist eine übergroße Koalition der besonderen Art, da immer einer von beiden Partnern für eine Mehrheitsbildung gebraucht wird.«
Das sei anders, als gäbe es einen Partner, mit dem man keine Mehrheit hätte. »Diese Form der Symmetrie ist das Interessante.« Das Ganze offenbare aber ein demokratiepolitisches Manko, da es im Landtag eine übergroße Regierungsmehrheit und eine schwache, kleine Opposition gäbe, die nur wenig bewirken könne. »Das ist der Nachteil dieser Konstellation«, sagt Jun. Die Opposition aus SPD und SSW wäre in der Tat marginalisiert. Ihre 16 von 69 Mandaten reichten gerade, um Untersuchungsausschüsse einzusetzen.
Grüner Anstrich
Jamaika würde dem Politikwissenschaftler Günther weiter einen »grünen Anstrich« geben, ohne die vielen Schwarz-Gelb-Anhänger der CDU und wirtschaftsnahe Parteispender zu verprellen. In der FDP gibt es aber eine klare Mehrheit für ein Bündnis nur mit der CDU. Für eine neue Dreierkoalition spräche außer Günthers Bestreben, dass Grüne und FDP unbedingt wieder regieren wollen und das Risiko scheuen dürften, bei zu hohem Pokern nicht mehr dabei zu sein.
Wie würde sich das neue Binnen-Kräfteverhältnis auf die Regierungsarithmetik auswirken? Derzeit führt die CDU außer der Staatskanzlei drei Ministerien (Inneres, Kultus, Justiz). Die Grünen haben im Umwelt-, Energie- und Agrarministerium den Hut auf, die FDP im Sozial- und im Wirtschaftsministerium. In einer Zweierkoalition könnte die CDU mehr Posten haben, sagt Günther. Aber davon dürfe man sich nicht leiten lassen. Das große Ganze sei eben wichtiger; die Menschen erwarteten eine Fortsetzung der erfolgreichen Arbeit.
Die Kieler Ex-Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz wie der Wirtschaftspolitiker und Unternehmer Bernd Jorkisch begründen ihr Ja zu Jamaika II damit, dieses Bündnis bilde die Gesellschaft in großer Breite ab. Letztlich folgt die CDU aber dem Motto »Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg«: »Wir nehmen alles an, was Daniel Günther in Absprache mit Partei und Fraktion empfiehlt«, sagt einer, der öfter mit den Grünen verquer liegt.
Lob und Kritik
Die Partei liegt Günther zu Füßen. »Der Erfolg gibt ihm uneingeschränkt Recht«, sagt Agrar- und Umweltpolitiker Heiner Rickers. »Ich finde das spitzenmäßig, das passt zu Schleswig-Holstein und zu Daniel Günther«, meint Vor-Vorgänger Peter Harry Carstensen. Bei Jamaika hätten die Akteure verantwortungsvoll an einem Strang in die gleiche Richtung gezogen, die Bevölkerung sei mit der Koalition sehr einverstanden und viele Lehrbücher weit weg von der Realität.
Kritik kommt naturgemäß aus der Opposition. »Das wäre dann mit 53 von 69 die Größtmögliche Große Koalition«, schrieb auf Facebook der SPD-Landtagsabgeordnete Kai Dolgner. Übrigens regierten in grauer Vorzeit schon einmal unter ganz anderen Umständen mehr Parteien als nötig: 1954 holten CDU und GB/BHE (Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) die FDP dazu, obwohl sie zu zweit eine Mehrheit - von einer Stimme - gehabt hätten. Die Genannten hatten auch schon davor gemeinsam regiert.
Im Laufe der Verhandlungen werden Günther und seine bisherigen Partner anhand der viel beschworenen Inhalte entscheiden müssen, wohin die Reise geht - und wer noch zu wem gehört.
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