Logo
Aktuell Inland

Dürr: Atom-Laufzeitverlängerung auch Frage der Solidarität

Sollen die drei Atomkraftwerke in Deutschland länger am Netz bleiben? FDP und auch Unionspolitiker haben dazu eine klare Meinung - und verweisen dabei auch auf die Lage innerhalb Europas.

Atomkraftwerk Isar 2
Wasserdampf steigt aus dem Kühltum des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2. Foto: Armin Weigel
Wasserdampf steigt aus dem Kühltum des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2.
Foto: Armin Weigel

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sieht eine Laufzeitverlängerung der drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland auch als eine Frage der europäischen Solidarität. »Nicht nur Deutschland steht vor einer schweren Energiekrise, sondern ganz Europa«, sagte Dürr der Deutschen Presse-Agentur.

Die EU verweise sogar explizit auf Kernenergie als Ausweichtechnologie. »Ich wüsste nicht, wie wir unseren europäischen Partnern erklären sollen, dass wir sichere Energiequellen aus ideologischen Gründen abschalten, während Frankreich mit einem Bein in einer Stromkrise steht.«

Dürr sagte weiter: »Wir müssen jederzeit in der Lage sein, Strom an unsere Nachbarn zu exportieren. Die Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke wäre daher ein wichtiges Zeichen der europäischen Verbundenheit. Wir sollten über den deutschen Tellerrand schauen und Rücksicht auf unsere Partner nehmen.«

Wirtschaftskrise verhindern

Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), sagte »Bild«: »Die Bundesregierung muss alle Möglichkeiten der Eigenversorgung mit Energie ausschöpfen. In unseren Nachbarländern gäbe es ansonsten angesichts der drohenden Energiekrise in Europa wenig Verständnis.« Deshalb sollten nach Webers Worten die Restlaufzeiten der noch aktiven Meiler verlängert werden. Weber rief die Vertreter der EU-Staaten dazu auf, durch solidarisches Handeln eine Wirtschaftskrise zu verhindern.

Frankreich setzt zur Stromerzeugung anders als Deutschland sehr auf Atomkraft. Rund die Hälfte der französischen Atomkraftwerke war zuletzt aber wegen Defekten oder Wartungen vom Netz, so dass die Meiler weniger Strom als üblich lieferten. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) hatte am Sonntagabend in der ARD-Sendung »Anne Will« darauf verwiesen, dass Deutschland im Moment Strom nach Frankreich exportiere. Dort könnten die Atomkraftwerke nicht mehr arbeiten, weil sie nicht heruntergekühlt werden könnten.

Die FDP als Koalitionspartner der Ampel-Regierung im Bund ist für einen Weiterbetrieb der drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland über das Jahresende hinaus. Der FDP-Energiepolitiker Michael Kruse nennt nach Angaben der »Bild« dabei einen konkreten Zeitrahmen: »Die AKW-Laufzeiten sollten bis Frühjahr 2024 verlängert werden. Das ist der Zeitraum, in dem uns Energieknappheit droht.« Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will zunächst die Ergebnisse eines zweiten Stresstests zur Sicherheit der Stromversorgung abwarten, wie eine Regierungssprecherin am Montag sagte.

Stresstest soll Antworten bringen

Das Wirtschaftsministerium hatte vor einer Woche einen zweiten Stresstest angekündigt. Es gehe darum, festzustellen, ob die Versorgungssicherheit im Stromsektor und der sichere Betrieb des Netzes unter verschärften Annahmen gewährleistet seien. Mit Ergebnissen sei »in den nächsten Wochen« zu rechnen, bekräftigte eine Sprecherin von Minister Robert Habeck (Grüne). Es gehe nicht darum, deutsche Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, um »kaputte« französische Atomkraftwerke zu ersetzen. Ein erster Stresstest vom März bis Mai dieses Jahres kam zum Ergebnis, dass die Versorgungssicherheit im kommenden Winter gewährleistet ist.

Der bayerische Grünen-Landtagsfraktionschef Ludwig Hartmann schließt einen Weiterbetrieb der verbliebenen Atomkraftwerke über das Jahresende hinweg nicht aus. »Zentral ist für uns, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Wenn der verschärfte Stresstest ergeben sollte, dass einzelne AKWs im Extremfall zur Aufrechterhaltung der Stromversorgung beziehungsweise Netzstabilität notwendig sind, müssen wir je nach Anlage entsprechend reagieren«, sagte Hartmann der »Augsburger Allgemeinen«.

Hartmann sagte, dass in Bayern das Risiko von Versorgungsengpässen im Winter größer sei als in anderen Bundesländern. »Bayern muss in diesem Test besonders berücksichtigt werden, weil uns die bayerische Regierung vollkommen abhängig gemacht hat von russischem Gas, sie den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie verschlafen und den so wichtigen Netzausbau boykottiert hat«, meinte er.

© dpa-infocom, dpa:220726-99-154556/4