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Corona-Krise: Kritik an innerdeutschen Reiseeinschränkungen

»Rückfall in Kleinstaaterei«, »praktisch nicht umsetzbar«: Bei der Ausweisung von Corona-Risikogebieten gehen die Bundesländer ganz unterschiedliche Wege - und stoßen damit so manchen vor den Kopf.

Mund-Nasen-Schutz
Ein Mund-Nasen-Schutz liegt auf dem Gehweg in Berlin-Friedrichshain. Foto: Annette Riedl/dpa
Ein Mund-Nasen-Schutz liegt auf dem Gehweg in Berlin-Friedrichshain. Foto: Annette Riedl/dpa

BERLIN. Mit Unverständnis und Kritik haben Politiker verschiedener Parteien auf die in manchen Bundesländern eingeführten Quarantäne-Vorschriften für Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten reagiert.

»Reisebeschränkungen im Inland sind das falsche Signal und nicht hilfreich«, sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) dem »Spiegel«. Politiker von CDU und SPD monierten, das Nebeneinander verschiedener Vorschriften schaffe einen verwirrenden Flickenteppich.

Die steigenden Infektionszahlen in Deutschland bereiten zum Start der Feriensaison zunehmend Sorgen - vor allem die Situation in Berlin wird von den Ländern unterschiedlich bewertet. Aufgrund steigender Zahlen in mehreren Bezirken der Hauptstadt werden diese zum Teil als Risikogebiet eingestuft. Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz haben Einreisebeschränkungen mit Quarantäneregeln und Pflichttests festgelegt. Andere Bundesländer folgen einer davon abweichenden Systematik. Berlin, Niedersachsen und Bremen weisen aktuell gar keine inländischen Risikogebiete aus.

Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) forderte mehr Klarheit und Transparenz. »Für Reisen innerhalb Deutschlands brauchen wir eine bundesweit einheitliche Regelung, auf die sich alle Bundesländer einigen«, sagte er dem »Spiegel«. »Ein Rückfall in Kleinstaaterei sorgt nur für Verunsicherung und gefährdet die Akzeptanz der Corona-Regeln.«

Thüringens Innenminister Georg Maier sagte dem Nachrichtenmagazin: »Es ist mir schleierhaft, wie diese Regelung umgesetzt werden soll. Sollen wir jetzt stichprobenartig zwischen den Bundesländern kontrollieren?« Mit Blick auf das Vorpreschen der Landesregierungen in Kiel und Mainz ergänzte er. »Da ist man über das Ziel hinausgeschossen, das wird nicht funktionieren.«

Das Robert Koch-Institut (RKI) weist aktuell die Städte Hamm und Remscheid in Nordrhein-Westfalen sowie den Landkreis Vechta in Niedersachsen als deutsche Risikogebiete aus. Zudem gelten auch die Berliner Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Neukölln und Tempelhof-Schöneberg auf der Liste des RKI als Risikogebiete.

In Schleswig-Holstein gelten derzeit die Städte Hamm und Remscheid sowie die vier Berliner Bezirke als Risikogebiet, nicht aber der Landkreis Vechta. Für Urlauber aus diesen Gebieten hat das zur Folge, dass sie sich in Schleswig-Holstein sofort 14 Tage in Quarantäne begeben oder zwei negative Corona-Tests vorweisen müssen. Einer der beiden Tests darf frühestens fünf Tage nach der Einreise gemacht werden. Rheinland-Pfalz hat eine ähnliche Regelung am Montag verabschiedet und folgt bei der Einstufung der Risikogebiete vollständig der RKI-Bewertung.

Mecklenburg-Vorpommern hingegen weist zwar Hamm, Remscheid und Vechta, nicht aber die vier Hauptstadtbezirke als Risikogebiet aus, weil Berlin - wie auch von Brandenburg - bei der Risikobewertung als Ganzes betrachtet wird. Hessen, Hamburg, Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und das Saarland richten sich bei der Ausweisung von inländischen Risikogebieten nach dem RKI. In diesen Bundesländern wird jedoch derzeit keine Quarantäne für Reisende aus inländischen Risikogebieten angeordnet. Es gelten aber Übernachtungsverbote für Hotel- und Pensionsgäste.

»Ein Flickenteppich in Deutschland trägt nur zur Verwirrung bei und wird auch das Infektionsgeschehen kaum eindämmen«, sagte der Hamburger CDU-Landesvorsitzende Christoph Ploß dem »Spiegel«. »Wer soll das Ganze denn wirksam kontrollieren, wenn beispielsweise ein Stadtteil in einer deutschen Großstadt Risikogebiet ist, der Nachbarstadtteil aber nicht? Ich halte daher von dieser Regelung nichts.« Auch der Chef der oppositionellen SPD-Fraktion im Kieler Landtag, Ralf Stegner, wandte sich gegen »Alleingängen einzelner Länder«.

Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann versicherte, dass in ihrem Land derzeit nicht an ein Übernachtungsverbot für Menschen aus innerdeutschen Risikogebieten gedacht werde. Solche Regelungen seien auch »praktisch nicht umsetz- oder gar kontrollierbar«, sagte die SPD-Politikerin der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Reimann riet dazu, in den Herbstferien lieber nicht zu verreisen und die freie Zeit möglichst zu Hause zu verbringen.

In Berlin beginnen am kommenden Wochenende die zweiwöchigen Herbstferien. In Bundesländern wie Bremen und Hessen sind bereits seit Montag Ferien. Neben Berlin steuert vor allem Frankfurt bei der Zahl der Corona-Infektionen auf die nächste Warnstufe zu.

Als Grundlage für die Einstufung als Risikogebiet dient die Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Dieser Wert darf nicht höher als 50 sein.

Seit Beginn der Corona-Krise haben sich nach RKI-Angaben mehr als 303.000 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert (Datenstand 6.10., 0.00 Uhr). Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion liegt demnach bei 9546. (dpa)