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Corona-Inzidenz steigt - Debatte über Maßnahmen gewinnt an Fahrt

Die Corona-Zahlen steigen wieder, aber muss das wirklich beunruhigen oder ist die Ausgangslage durch die Impfungen jetzt eine ganz andere? Darüber wird verstärkt diskutiert.

Corona
Der Schriftzug »Corona« ist auf dem Dach eines Containers der Ausstellung »Das Corona-Ding« in Hannover zu lesen. Foto: Moritz Frankenberg/dpa
Der Schriftzug »Corona« ist auf dem Dach eines Containers der Ausstellung »Das Corona-Ding« in Hannover zu lesen. Foto: Moritz Frankenberg/dpa

BERLIN. Die Entwicklung bei den Corona-Zahlen zeigt nach langem Sinkflug auch in Deutschland wieder nach oben. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz stieg am Samstag den vierten Tag in Folge an, bewegt sich aber weiterhin auf niedrigem Niveau.

In anderen europäischen Ländern gibt es bereits einen deutlicheren Anstieg. In der Politik wird darüber diskutiert, wie groß die Aussagekraft der Ansteckungszahlen angesichts der Impfungen noch ist. Wirtschaftsverbände sprechen sich gegen erneute harte Maßnahmen aus.

Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen am Samstag mit 5,8 an. Am Freitag lag die Inzidenz bei 5,5. Vor einer Woche bei 4,9. Binnen eines Tages wurden 952 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Vor einer Woche hatte der Wert bei 671 Ansteckungen gelegen. Deutschlandweit wurden zudem innerhalb eines Tages 35 Todesfälle verzeichnet. Vor einer Woche waren es 16 Tote gewesen.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht sprach sich dagegen aus, alle Corona-Beschränkungen schnell aufzuheben. »Bevor wir alle Maßnahmen aufheben können, müssen wir noch deutlich weiter in Richtung Herdenimmunität kommen«, sagte die SPD-Politikerin der »Augsburger Allgemeinen« (Samstag). »Die Pandemie ist noch nicht überstanden.« Gleichwohl müssten alle verbliebenen Maßnahmen laufend darauf überprüft werden, ob sie noch verhältnismäßig sind.

Ihr Kabinettskollege, Außenminister Heiko Maas (ebenfalls SPD), hatte sich jüngst für eine Aufhebung aller Corona-Einschränkungen ausgesprochen, sobald alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot bekommen haben. Damit sei im Laufe des Augusts zu rechnen.

In einer gemeinsamen Stellungnahme teilten die stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Bärbel Bas und Dirk Wiese, am Samstag mit, mit zunehmenden Impfungen trete die Bekämpfung der Pandemie in eine neue Phase. »Die Inzidenz wird nach der erfolgreichen Impfkampagne keine hinreichende Kennziffer zur Bewertung der Lage oder gar als Grundlage für Einschränkungen der Grundrechte mehr sein.« Auch der Schulbetrieb könne nicht von Inzidenzen abhängig gemacht werden. Bas und Wiese forderten bis Ende August einen Plan von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für die Zeit nach dem Sommer.

Die stellvertretende FDP-Fraktionschef Michael Theurer kritisierte die Regierung für ihr Corona-Krisenmanagement. Dies sei unterirdisch und zeige eine führungs- und orientierungslose Bundesregierung, sagte er dem »Handelsblatt«. Er forderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) dazu auf, klarzustellen, »dass die Menschen ihre Freiheitsrechte spätestens wie versprochen bis Ende Sommer zurückbekommen, sobald alle Impfwilligen ein Impfangebot haben«.

In Deutschland sind nach RKI-Angaben inzwischen mehr als 42 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig gegen das Coronavirus geimpft. Insgesamt haben bisher 48,4 Millionen Menschen (58,2 Prozent) mindestens eine Impfdosis erhalten, rund 35 Millionen sind vollständig geimpft. Spahn schrieb dazu bei Twitter: »Das ist gut - aber im Wettlauf mit der Delta-Variante reicht das noch nicht. Impfstoff, um jeden zu impfen, ist nun da. Bitte nutzen Sie es!«

Nach Angaben der Bundesregierung lassen sich momentan im Schnitt rund 700.000 Menschen am Tag impfen. Laut einer Umfrage der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« bei den Gesundheitsministerien der Länder gibt es keine massenhaften Absagen von Impfterminen. Flächendeckend ließen nur wenige Deutsche ihre Termine in den Impfzentren platzen, hieß es in dem Bericht. Insgesamt ergebe sich ein entspanntes Bild. Vor wenigen Tagen war eine Debatte über »Impfschwänzer« hochgekocht, die Termine verstreichen lassen, ohne vorher abzusagen.

Die Corona-Infektionszahlen sind in verschiedenen europäischen Ländern inzwischen schon wieder deutlicher angestiegen als in Deutschland. Spanien mit den beliebten Urlaubsinseln Mallorca und den Kanaren gilt ab diesem Sonntag nach den Maßstäben der Bundesregierung wieder als Risikogebiet. Praktische Auswirkungen für Urlauber gibt es dadurch aber kaum.

Nach Einschätzung der EU-Kommission ist die Urlaubssaison nicht in Gefahr. Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag): »Wir müssen uns jetzt vor zu großer Aufregung hüten und Überreaktionen vermeiden.« Dank der Impfungen führten höhere Zahlen nicht automatisch zu einer gefährlicheren Lage. Trotz der besonders ansteckenden Delta-Variante sei eine »starke Urlaubssaison« möglich.

Nach Ansicht der großen Wirtschaftsverbände darf auch bei steigenden Corona-Zahlen in Deutschland das Geschäftsleben nicht wieder heruntergefahren werden. Der Präsident des Deutschen Indsutrie- und Handelskammertages (DIHK), Peter Adrian, sagte dem »Handelsblatt«, es gelte, sich »viel stärker auf wissenschaftliche Daten und belastbare Erkenntnisse aus dem betrieblichen Alltag« zu stützen, um »pauschale Schließungen mit ihren oft gravierenden Folgewirkungen zu vermeiden«.

Die Inzidenz allein dürfe bei einer hohen Impfquote nicht mehr das Maß aller Dinge sein, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Joachim Lang. Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes machte deutlich: »Unsere Branche wird einen weiteren Lockdown nicht mehr akzeptieren.« (dpa)