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Chile stimmt über neue Verfassung ab

Es geht um einen progressiven neuen Verfassungstext, über den die Chilenen nun abstimmen dürfen. Doch Umfragen sehen eher keine Mehrheit für das Vorhaben eines linken Bündnisses.

Abstimmung über neue Verfassung in Chile
Ein Wahllokal in Santiago de Chile. Foto: Luis Hidalgo
Ein Wahllokal in Santiago de Chile.
Foto: Luis Hidalgo

Die Chilenen haben über eine neu ausgearbeitete Verfassung abgestimmt. »Dies ist ein historischer Moment, auf den wir alle zutiefst stolz sein können«, sagte der chilenische Präsident Gabriel Boric am Sonntag, nachdem er seine Stimme in seinem Geburtsort Punta Arenas an der Südspitze Chiles abgegeben hatte.

In schwierigen Momenten habe das Land den Weg zu mehr und nicht zu weniger Demokratie gewählt. Jüngste Umfragen deuten allerdings darauf hin, dass der fortschrittliche Entwurf abgelehnt werden könnte.

Die Wahlbeteiligung und Entscheidungen in letzter Minute dürften entscheidend sein. Die Wahllokale schließen um 18.00 Uhr Ortszeit (24.00 Uhr MESZ). Mit ersten Ergebnissen wird ab 2.00 Uhr MESZ gerechnet.

Neue Verfassung würde Land grundlegend verändern

Das neue Grundgesetz würde das südamerikanische Land grundlegend verändern. Unter anderem garantiert die Magna Charta das Recht auf Wohnraum, Gesundheit und Bildung. Zudem sollen künftig alle Staatsorgane zur Hälfte mit Frauen besetzt werden. Zum ersten Mal würde in dem Land mit seinen rund 19 Millionen Einwohnern das Selbstbestimmungsrecht der indigenen Gemeinschaften anerkannt.

Linke Politiker, Aktivisten und Wissenschaftler erhoffen sich von einer progressiven, sozialen und ökologischen Verfassung eine Signalwirkung für die ganze Welt. Viele Menschen in der konservativen chilenischen Gesellschaft halten den Text für eine linke Utopie und fürchten, dass sie den wirtschaftlichen Erfolg Chiles, das als eine Art Musterbeispiel in der Region gilt, gefährden könnte. Zudem hat die rechte Opposition eine massive Gegenkampagne lanciert.

Der chilenische Präsident Boric versicherte am Sonntag, »dass wir unabhängig vom Ergebnis zu einer breiten nationale Einheit aller Teile der Gesellschaft, der sozialen Organisationen und der politischen Parteien aufrufen werden«. Alle Stimmen sollten gehört werden, um weiterzukommen - sei es, um die neue Verfassung zu implementieren oder den verfassungsgebenden Prozess weiterzuführen. Eine Verfassungsgebende Versammlung hatte den Entwurf ein Jahr lang ausarbeitet.

Die Annahme des 388 Artikel umfassenden Verfassungsentwurfs würde auch einen Erfolg des ehemaligen Studentenführers Boric bedeuten, der im Dezember im Alter von 35 Jahren zum jüngsten Präsidenten Chiles gewählt worden war. Er versprach unter anderem ein öffentliches Bildungswesen und bessere Gesundheitsversorgung nach dem Vorbild des europäischen Sozialstaats.

Die neue Verfassung war eine der von Boric unterstützten Hauptforderungen der Demonstranten, die Ende 2019 auf die Straße gingen. Vor zwei Jahren stimmten fast 80 Prozent der Wähler für die Ausarbeitung eines neuen Grundgesetzes. Der aktuelle Text stammt noch aus der Zeit der Militärdiktatur unter General Augusto Pinochet (1973-1990). Die Aufgaben des Staates sind auf ein Minimum reduziert, das Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystem und sogar die Wasserversorgung wurden privatisiert.

© dpa-infocom, dpa:220904-99-627439/3