Das Kanzleramt will nun mit Fachleuten aus der Rüstungsindustrie über die Krise bei der Munitionsbeschaffung für die Bundeswehr beraten. »Es wird ein Gespräch mit ausgewählten Vertretern der Rüstungsindustrie auf Beamtenebene geben«, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin.
Sie widersprach Berichten, wonach es am Montag einen »Munitionsgipfel« geben werde. Eine Spitzenrunde aus Politik und Rüstungsindustrie war bereits vor Monaten von der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), gefordert worden. Sie hatte auch dafür plädiert, einen zentralen Koordinator für Ukraine-Hilfe und Rüstungsbeschaffung einzusetzen.
Die Bundeswehr leidet unter einem dramatischen Munitionsmangel, weil jahrelang zu wenig bestellt wurde. Die deutsche Industrie hatte ihre Kapazitäten wegen des Sparkurses zurückgefahren oder die Produktion eingestellt. Nun gibt es auch aus den Reihen der Verbündeten wieder eine stärkere Nachfrage. Langsame Besteller müssen sich hinten anstellen. Mit der Industrie soll aber besprochen werden, wie die Produktion erweitert und beschleunigt werden kann. Zuletzt hatte die Bundesregierung erklärt, dass Deutschland Munition für 20 Milliarden Euro kaufen müsse.
»Bundeswehr hat mittlerweile katastrophalen Munitionsbestand«
Die Union hatte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) vorgeworfen, mit dem Kauf neuer Waffen und Ausrüstung trotz des 100-Milliarden-Euro-Sondertopfes kaum vorangekommen zu sein. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 27. Februar ausgerufene Zeitenwende »findet nicht statt«, sagte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul im Bundestag. Lambrecht wirke im Tagesgeschäft planlos und mit konzeptionellen Aufgaben überfordert. Er sagte: »Die Bundeswehr hat jetzt mittlerweile einen katastrophalen Munitionsbestand. Die Artillerietruppe ist im Grunde ohne Munition, kann überhaupt nicht mehr den scharfen Schuss üben.«
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn, sagte der dpa, es sei gut, dass der Kanzler nun endlich das Thema Munition zur Chefsache mache. »Frau Lambrecht ist dieser Herausforderung nicht gewachsen«, sagte er. Und: »Bei diesem überlebenswichtigem und kriegsentscheidenden Thema darf keine Zeit mehr verloren werden.«
»Manche Soldaten kaufen sich Ausrüstung auf eigene Kosten«
Unzufriedenheit mit der Situation wurde auch von der Wehrbeauftragten des Bundestages, Eva Högl, laut. »Mir geht das auch alles nicht schnell genug - vor allem bei der persönlichen Ausstattung. Aber gerade bei schweren Waffensystemen dauert es einfach, bis Systeme bestellt, gebaut, geliefert und eingeführt sind«, sagte sie der »Zeit«. Dass bestellte Schutzwesten und Rucksäcke bis 2025 eintreffen sollen, sei für die Bundeswehr »schon richtig schnell«. Sie sagte: »Leider gibt es auch bei der Bundeswehr in den Ämtern manchmal Gleichgültigkeit und Desinteresse bei den zuständigen Beamten: Haben wir nicht, geduldet euch, wird schon nicht so wichtig sein, schicken wir hinterher, so etwas hören die Soldaten ständig. Manche Soldaten kaufen sich deshalb die Ausrüstung privat auf eigene Kosten.«
Bei der Munitionsbeschaffung müssten Staatssekretär und Abteilungsleiter auch umfangreiche strukturelle Probleme lösen, wie das digitale Medienhaus Table.Media berichtete. Der Munitionsbedarf könne sonst über Jahre nicht gedeckt werden.
»So befinden sich viele Pulver- und Sprengstoffproduzenten, bei denen deutsche Munitionshersteller bisher einkauften, nach Angaben von Experten aus der wehrtechnischen Industrie direkt oder indirekt in chinesischer Hand. Seit gut einem halben Jahr liefern diese Firmen nicht mehr an westliche Munitionshersteller. Das verkleinert den Markt, erhöht die Lieferzeiten und verteuert die Produkte«, hieß es in dem Bericht, in dem auch folgende Rechnung zum Ukraine-Krieg aufgemacht wird: »Russland hat an manchen Kriegstagen 60 000 und die Ukraine 20 000 Artilleriegranaten verschossen. Für die Bundeswehr wäre somit bereits an einem Tag alles vorbei gewesen.«
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