Logo
Aktuell Inland

Bund-Länder-Gipfel berät über drittes Entlastungspaket

Wer soll das bezahlen? Nach der Einigung auf ein weiteres Enlastungspaket gibt es offene Fragen und Kritik. Der Kanzler will die Ministerpräsidenten bei weiteren Schritten ins Boot holen.

Bund-Länder-Gipfel geplant
Bundeskanzler Olaf Scholz (M) will mit den Regierungschef der Länder über die geplanten Entlastungsmaßnahmen beraten (l. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, r. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, Archiv). Foto: Bernd von Jutrczenka
Bundeskanzler Olaf Scholz (M) will mit den Regierungschef der Länder über die geplanten Entlastungsmaßnahmen beraten (l. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, r. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, Archiv).
Foto: Bernd von Jutrczenka

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer über die Finanzierung des neuen Entlastungspaketes sprechen. Scholz sei »in die Terminfindung« für eine Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz eingestiegen, um möglichst schnell ins Gespräch mit den Ländern zu kommen, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin.

Aus Bundesländern wurde vor massiven Kosten gewarnt. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) forderte vor den am Dienstag beginnenden Beratungen zum Bundeshaushalt ein Bekenntnis zur Schuldenbremse und gab zu Bedenken, es könne eine »wuchtige Rechnung« folgen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte mehreren Medien: »Wenn die Länder mit bezahlen sollen, müssen sie auch mit entscheiden können.« Dieses Paket müsse »endlich mal sitzen und Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Sozialleistungsempfänger und kleine und mittlere Einkommen sowie energieintensive Wirtschaft effektiv entlasten.« SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sprach von einer »gesamtstaatlichen Verantwortung«. Er sagte vor einer Fraktionssitzung im Bundestag: »Das kann nur eine Kraftanstrengung von allen sein.«

Entlastungspaket hat Umfang von rund 65 Milliarden Euro

Die Ampel-Koalition hatte am Vortag ein drittes Maßnahmenpaket als Ausgleich für die rasant steigenden Preise vorgestellt. Die Bundesregierung schätzt den Umfang auf etwa 65 Milliarden Euro. Es umfasst unter anderem Direktzahlungen für Rentner und Studenten, Steuererleichterungen und eine Erhöhung der Regelsätze in der Grundsicherung sowie des Kindergelds. Geplant ist auch eine Strompreisbremse für einen gewissen Basisverbrauch. Zudem strebt die Ampel einen bundesweit gültigen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket im Nahverkehr an, und zwar in der Preisspanne von 49 bis 69 Euro pro Monat. Der Bund will 1,5 Milliarden Euro dafür zuschießen, wenn die Länder mindestens ebenso viel zahlen.

Auf Twitter schrieb Finanzminister Christian Lindner (FDP), man arbeite an Schätzungen zu den Entlastungen: Eine vierköpfige Familie mit 31.000 Euro Jahreseinkommen werde um 1500 Euro entlastet, bei 66.000 Euro Einkommen seien es 1000 Euro. »Das zeigt: Die Maßnahmen wirken nicht nur z.B. bei der Grundsicherung, sondern auch in der «arbeitenden Mitte»«, so Lindner.

Der Bund der Steuerzahler erklärte, nach den bisher vorliegenden und noch unvollständigen Angaben würde eine Doppelverdienerfamilie mit 60.000 Euro Jahreseinkommen im kommenden Jahr 432 Euro mehr Kindergeld erhalten und 342 Euro weniger Einkommensteuer als derzeit zahlen. Zu berücksichtigen sei jedoch, dass eine Kindergelderhöhung im Zuge der verfassungsrechtlich gebotenen Anhebung des Kinderfreibetrags ohnehin anstehe. Ähnlich geboten seien steuerliche Entlastungen im Zuge des Abbaus der kalten Progression. Die geplanten Eckpunkte würden der tatsächlichen Inflation nicht annähernd gerecht. Zudem: »Die Ampel hat eine Großbestellung auf Rechnung aufgegeben. Doch sie verliert kein Wort darüber, wann und wie die wuchtige Rechnung bezahlt wird«, teilte BdSt-Präsident Reiner Holznagel mit.

Opposition und Grüne Jugend kritisieren Beschlüsse

Die CDU kritisierte die geplanten Entlastungsschritte als unzureichend. Das Paket werde der Krise nicht gerecht, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Eine Entlastung von Normalverdienern der gesellschaftlichen Mitte sei nicht erreicht worden, auch nicht für mittelständische Betriebe. Angesichts eines drohenden Energiemangels fehlten außerdem Aussagen zum Angebot wie etwa zu einer Verlängerung der Atomkraftnutzung.

Heftige Kritik an den Beschlüssen kam von Linken und AfD. Linke-Chef Martin Schirdewan kritisierte die geplanten Einmalzahlungen als Stückwerk. Nötig seien kontinuierliche Zuschüsse für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte mit Blick auf die anstehenden Beratungen des Bundeshaushalts im Parlament: »Wir werden sowohl in der anstehenden Haushaltswoche hier im Deutschen Bundestag, aber auch auf den Straßen und Plätzen gegen diese Entscheidung der Ampel protestieren.« Er sei der festen Überzeugung, dass Druck von der Straße helfen könne. Die Partei- und Fraktionschefs der AfD, Alice Weidel und Tino Chrupalla, kritisierten das verabredete Entlastungspaket scharf. Chrupalla sagte, die Politik der Bundesregierung werde scheitern und nicht über den Winter führen.

Und auch die Grüne Jugend sieht noch Verbesserungsbedarf. Mit den neuen Maßnahmen würden Lücken des alten Pakets ausgebessert, sagte die Co-Chefin der Grünen-Nachwuchsorganisation, Sarah-Lee Heinrich, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Dass es trotz Blockadehaltung der FDP zu so einem weitgehenden Paket habe kommen können, liege daran, dass der gesellschaftliche Druck groß sei. Aber: »Beim genaueren Hinschauen merkt man, dass die Maßnahmen sehr kompliziert sind. Ab dem 1. Oktober kommt die Gasumlage als Mehrbelastung, aber es könnte Monate dauern, bis die weiteren Entlastungen ankommen.« Heinrich forderte: »Es braucht jetzt einen echten Rettungsschirm für die Menschen!«

Der Bundestag beginnt heute seine Beratungen über den Haushalt für das kommende Jahr. In der Haushaltswoche werden bis Freitag die Etats der einzelnen Ministerien diskutiert. Am Mittwoch kommt es bei der Beratung des Etats des Kanzleramts zur sogenannten Generaldebatte mit Kanzler Olaf Scholz (SPD). Der Etat sieht Ausgaben von 445,2 Milliarden Euro vor - deutlich weniger als in den vergangenen Jahren, als die Haushalte noch stärker von Wirtschaftshilfen in der Corona-Pandemie geprägt waren.

© dpa-infocom, dpa:220905-99-632778/9