WASHINGTON. US-Präsident Joe Biden hat amerikanische Geheimdienste beauftragt, dem Ursprung der Corona-Pandemie auf den Grund zu gehen.
Die bisherigen Untersuchungen hätten unterschiedliche Einschätzungen ohne abschließende Folgerungen geliefert, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme Bidens. Daher habe er die Geheimdienste angewiesen, ihre Bemühungen zu verstärken und binnen 90 Tagen einen weiteren Bericht dazu vorzulegen. Der Präsident offenbarte, dass das Szenario eines möglichen Laborunfalls in China - ein Vorwurf, den sein Vorgänger Donald Trump lautstark verbreitet hatte - zumindest in Teilen des US-Geheimdienstapparates für möglich gehalten wird.
Das Coronavirus war Ende 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan erstmals nachgewiesen worden. Seit langem kursieren unbelegte Mutmaßungen, das Coronavirus könne aus einem Labor in Wuhan stammen und womöglich durch einen Unfall freigesetzt worden seien.
Trump und auch sein Außenminister Mike Pompeo hatten in der Vergangenheit wiederholt behauptet, sie hätten Hinweise, dass das Virus aus einem Labor in Wuhan stamme. Trump hatte gesagt, womöglich sei ein »schrecklicher Fehler« geschehen: »Wahrscheinlich war es Inkompetenz, jemand war dumm.« Belege für die Anschuldigungen präsentierten aber weder er noch Mitglieder seiner Regierung.
Die Chinesen haben die Vorwürfe vehement zurückgewiesen. China hatte in den vergangenen Tagen auch einen Bericht des »Wall Street Journal« dementiert, wonach drei Wissenschaftler des Instituts für Virologie in Wuhan laut US-Geheimdienstinformationen im November 2019 so schwer erkrankten, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Die Regierung von Trumps Nachfolger Biden hat bislang stets weitere Untersuchungen zum Ursprung des Virus gefordert und tut das auch weiter. Allerdings gibt Biden der Laborunfall-These nun Raum und forciert die Suche nach Antworten.
Biden erklärte, er habe im März bereits einen ersten Geheimdienstbericht zum Ursprung der Pandemie in Auftrag gegeben - inklusive der Frage, ob das Virus durch einen menschlichen Kontakt mit einem infizierten Tier oder durch einen Labor-Unfall aufgekommen sein könnte. Diesen Bericht habe er inzwischen erhalten. Innerhalb des Geheimdienstapparates gebe es unterschiedliche Einschätzungen zu der Frage. Zwei Geheimdienststellen tendierten zur ersten These, eine andere Geheimdienststelle wiederum zur zweiten. Allerdings fehle es an Informationen, um die Szenarios abschließend zu bewerten. Die Geheimdienste sollten nun weitere Informationen sammeln, »die uns einer endgültigen Schlussfolgerung näherbringen könnten«.
Diese vorsichtige Formulierung lässt auch die Möglichkeit offen, dass es definitive Antworten womöglich nie geben könnte. Biden beklagte, dass in den ersten Monaten der Pandemie - also noch in der Amtszeit der Trump-Regierung - US-Inspektoren keinen Zugang vor Ort in China verschafft bekommen hätten. Dieses Versäumnis werde »immer jede Untersuchung« behindern.
Die US-Geheimdienste hatten im April vergangenen Jahres mitgeteilt, sie stimmten »mit dem breiten wissenschaftlichen Konsens überein, dass das Covid-19-Virus nicht von Menschen gemacht oder genetisch verändert wurde«. Sie verwiesen damals aber auch darauf, dass sie weiterhin neue Erkenntnisse prüfen würden, um festzustellen »ob der Ausbruch durch den Kontakt mit infizierten Tieren begann oder ob er das Ergebnis eines Unfalls in einem Labor in Wuhan war«.
Auch international gibt es große Bemühungen herauszufinden, wie die verheerende Corona-Pandemie ihren Anfang genommen hat. Die Weltgesundheitsorganisation WHO kam in einer im März vorgelegten Studie zu dem Schluss, dass das Virus außer in Fledermäusen auch in Schuppentieren seinen Ursprung haben könnte. Die Theorie, dass es aus einem Labor entwichen sein könnte, bezeichneten die beteiligten Wissenschaftler dagegen als »extrem unwahrscheinlich«.
Die USA zogen die Qualität der Untersuchung jedoch in Zweifel und forderten eine Fortsetzung der Nachforschungen. Sie warfen China ungebührliche Einflussnahme auf die daran beteiligten internationalen Experten vor. Peking habe die Untersuchungen kontrolliert und eingeschränkt, so der Vorwurf. So hätten die Wissenschaftler keinen Zugang zu kompletten Originaldatensätzen und Proben gehabt. Die internationalen Experten waren erst nach monatelanger Verzögerung durch chinesische Stellen Anfang des Jahres nach Wuhan gereist. (dpa)