Es ist ein Besuch voller Symbolik an einem geschichtsträchtigen Tag: Als zweithöchste Repräsentantin Deutschlands hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am Sonntag Kiew besucht.
Gemeinsam mit ihrem ukrainischen Kollegen Ruslan Stefantschuk gedachte die SPD-Politikerin dort der Opfer des von Nazi-Deutschland entfesselten Zweiten Weltkriegs. Und sie zeigte die Solidarität Deutschlands mit der Ukraine, die nach dem Angriff Russlands um ihre Existenz kämpft. Bas sprach auch mit Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sie »im friedlichen Kiew« begrüßte.
Bas war auf Einladung von Stefantschuk nach Kiew gereist, wo sie am Morgen mit dem Zug eintraf. Der Parlamentspräsident dankte ihr dafür, dass sie gerade am 8. Mai gekommen sei. »Das ist für uns wirklich ein Zeichen der Solidarität Deutschlands mit der Ukraine und mit dem ukrainischen Volk.«
Am 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht zu Ende gegangen. Der Tag wird seitdem in vielen Staaten als die Befreiung vom Nationalsozialismus gefeiert.
»Darf ich Sie umarmen?«
Bas wurde von Stefantschuk betont herzlich begrüßt. »Darf ich Sie umarmen?«, fragte der Ukrainer seine deutsche Amtskollegin - und tat es dann. Beide legten am Grabmal des Unbekannten Soldaten Kränze nieder. Dazu wurden die Nationalhymnen beider Staaten gespielt, eine Ehrengarde war angetreten. Dieses Gedenken sei für sie »sehr bewegend«, sagte Bas. Sie machte deutlich, dass es ihr um »alle Opfer« des Zweiten Weltkriegs gehe - zuerst um die der Ukraine, aber auch um die in Russland, Polen, Belarus, in den baltischen Staaten und in den anderen Staaten Mittel- und Osteuropas.
Stefantschuk schrieb anschließend auf Twitter, dass die Ukraine einen hohen Preis dafür zahle, die zivilisierte Welt zu verteidigen. Das Land zähle auf die Unterstützung Deutschlands beim Wiederaufbau und bei der Aufnahme in die Europäische Union.
In einer gemeinsamen Pressekonferenz betonte Bas später: »Es berührt mich zutiefst, dass ich heute als Repräsentantin des Landes hier sein darf, das dieses barbarische Verbrechen zu verantworten hat. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ich eingeladen wurde.« Der Zweite Weltkrieg und das von Deutschen begangene Menschheitsverbrechen des Holocausts ließen nur einen Schluss zu: »Wir müssen nationalistischen Hass, Antisemitismus und jede Form der Kriegstreiberei entschieden und kompromisslos bekämpfen. Der Friede in Freiheit ist das kostbarste Gut.«
Umso mehr erfülle sie der brutale und völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands mit Entsetzen. Dieser müsse so schnell wie möglich ein Ende haben. Bas betonte: »Meine Solidarität gilt dem ganzen ukrainischen Volk in diesem brutalen Existenzkampf. Ich bin auch deshalb nach Kiew gekommen, um zu bekräftigen, dass Deutschland und seine Partner fest an der Seite der Ukraine stehen.«
Stefantschuk dankte Bas ausdrücklich für den Bundestagsbeschluss zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und für die Unterstützung seines Landes. »Ich möchte, dass Sie die Dankbarkeit unseres ganzen Volkes für die Unterstützung in den Bundestag mitnehmen.«
Bas hofft auf faires Friedensabkommen
Selenskyj sagte ebenfalls: »Für unser Land ist die Entscheidung im Bundestag sehr wichtig. Wir hoffen auf Ihre Unterstützung und die zukünftige Mitgliedschaft der Ukraine in der EU.« Bas sagte nach dem Gespräch mit Selenskyj der Deutschen Presse-Agentur und der »Rheinischen Post«, sie habe Selenskyj deutsche Unterstützung für einen EU-Beitritt zugesagt. »Der Bundestag wird alle nötigen Verfahren beschleunigen.« Sie sei sich mit Selenskyj mit Blick auf ein mögliches Kriegsende einig gewesen, »dass es keinen Diktatfrieden geben darf, sondern nur ein faires Friedensabkommen«.
Bas besuchte später den Vorort Butscha, wo nach dem Abzug der russischen Truppen mehr als 400 Leichen - teils mit auf den Rücken gebundenen Händen - gefunden worden waren. In einer Kirche wurden ihr Fotos davon gezeigt. »Für uns ist es wichtig, dass diese Verbrechen nicht vergessen werden«, sagte Priester Andrij Halawin, der Bas durch die Kirche führte. Bas zündete für die Opfer eine Kerze an. Bei einem Besuch im stark zerstörten Vorort Irpin zollte sie den ukrainischen Soldaten Respekt: »Wenn man diese Zerstörungen sieht, dann kann man kaum fassen, wie heldenhaft sie ihre Stadt verteidigt haben.«
Die SPD-Politikerin ist nach dem Bundespräsidenten die zweithöchste Repräsentantin der Bundesrepublik. Sie war die wichtigste deutsche Politikerin, die die Ukraine seit Kriegsbeginn besucht hat. Wenige Tage vor ihr war der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in Kiew gewesen, in den kommenden Tagen will Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dorthin reisen.
Diese verstärkte Reisediplomatie und die Herzlichkeit, mit der Bas am Sonntag empfangen wurde, zeigt: Die zwischenzeitliche Eiszeit in den beiderseitigen Beziehungen - ausgelöst durch das Ausladen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch die ukrainische Seite - ist ganz offensichtlich einem Tauwetter gewichen.
Baerbock-Reise geplant
Vor der Bundestagspräsidentin war am vergangenen Dienstag der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in Kiew gewesen. In den kommenden Tagen ist zudem eine Reise von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) geplant.
Bas will mit dem Besuch der Millionen Opfer gedenken, die der von Hitler-Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg weltweit verursacht hat - in der Ukraine, aber auch in Russland, Belarus, Polen, im Baltikum und in den übrigen Staaten Mittel- und Osteuropas. In besonderer Weise möchte sie auch der im Holocaust ermordeten Juden gedenken, der immensen Opfer in der Zivilbevölkerung und in der Roten Armee.
Die SPD-Politikerin versteht ihre Reise zugleich als besonderen Ausdruck der Solidarität des Bundestages mit der Ukraine. Sie will deutlich machen, dass Deutschland in dem von Russland ausgehenden völkerrechtswidrigen Angriffskrieg fest an der Seite der um ihre Existenz kämpfenden Ukraine steht. Deutschland hat die Ukraine seit 2014 mit rund zwei Milliarden Euro unterstützt. Bas wirbt auch dafür, weiterhin mit diplomatischen Mitteln eine politische Lösung für die Beendigung des Konflikts zu suchen.
Habeck will zum Wiederaufbau in Ukraine reisen
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hat eine Reise in die Ukraine zur wirtschaftlichen Unterstützung des Landes im Blick. Es sei richtig, dass Außenministerin Annalena Baerbock nun als erste fahre, dann würden andere fahren, sagte der Wirtschaftsminister am Sonntagabend im ZDF. »Ich werde auch fahren, und zwar dann vor allem, um den Wiederaufbau der Ukraine zu organisieren.« In seinem Ressort gehe es um wirtschaftliche Unterstützung und die Energiesicherheit der Ukraine. Eine Wirtschaftsdelegation zusammenzustellen sei dann die Aufgabe, um einen Beitrag zur Ertüchtigung des Landes zu leisten.
Habeck verurteilte es, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Tag des Sieges im Zweiten Weltkrieg am 9. Mai missbrauchen wolle, um seinen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen. »Im Grunde nimmt Putin den Russen diesen Feiertag weg. Er entwürdigt diesen Feiertag.«
Offen ist weiter, ob und wann Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Ukraine reisen wird. Selenskyj hat ihn für diesen Montag eingeladen. Am 9. Mai feiert Russland den sowjetischen Sieg über das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Scholz könne einen »sehr starken politischen Schritt« unternehmen und am 9. Mai in die ukrainische Hauptstadt kommen, sagte Selenskyj bei einer Veranstaltung der Londoner Denkfabrik Chatham House am vergangenen Freitag.
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