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Baerbock für Sondertribunal zu Moskaus Angriffskrieg

Der Internationale Strafgerichtshof kann Kremlchef Putin nicht wegen seines Angriffskrieges auf die Ukraine belangen. Außenministerin Baerbock will das ändern - und ein wichtiges Zeichen Richtung Moskau senden.

Annalena Baerbock und Karim Ahmad Khan
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wird am Internationalen Strafgerichtshof von Chefankläger Karim Ahmad Khan begrüßt. Foto: Christophe Gateau
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wird am Internationalen Strafgerichtshof von Chefankläger Karim Ahmad Khan begrüßt.
Foto: Christophe Gateau

Außenministerin Annalena Baerbock will die russische Führungsriege mit einem internationalen Sondertribunal für den Angriffskrieg in der Ukraine zur Rechenschaft ziehen. »Wir unterstützen den ukrainischen Wunsch der Einrichtung eines Sondertribunals für Russlands Aggressionsverbrechen mit internationaler Unterstützung«, sagte Baerbock am Montag in Den Haag. Die Außenministerin hatte dort den Internationalen Strafgerichtshof besucht und hatte ihren Kollegen Wopke Hoekstra getroffen. Das Tribunal solle auf ukrainischem Recht fußen, sagte die Ministerin.

Auch Verdacht auf Völkermord prüfen

Die Grünen-Politikerin sprach sich dafür aus, angesichts der russischen Angriffe auf die Ukraine auch den Verdacht auf Völkermord zu prüfen. »Wir müssen uns angesichts dieser Brutalität, angesichts der Kriegsverbrechen und der systematischen Verbrechen, angesichts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit anschauen, inwieweit dies nicht auch Formen von Völkermord einnimmt«, sagte sie. Die Angriffe auf Stromnetze könnten dazu führen, dass Hunderttausende Menschen verdursten oder erfrieren könnten.

Baerbock und Hoekstra verurteilten auch die Verschleppung von Tausenden Kindern aus der Ukraine und forderten ihre unverzügliche Freilassung. Die Berichte, dass Kinder aus annektierten Gebieten nach Russland entführt und zur Adoption freigeben würden, seien unerträglich, sagte sie. Dies stelle ein »international geächtetes Verbrechen« dar. Beide Länder wollen sich gemeinsam stark machen, dass der Angriffskrieg von Russland strafrechtlich verfolgt werde. Zuvor hatte die Grünen-Politikerin in einer Grundsatzrede an der Haager Akademie für Völkerrecht deutlich gemacht, dass gegen die russische Führung ermittelt werden müsse.

Ein Sondertribunal müsse durch eine internationale Komponente ergänzt werden, sagte die Ministerin. So könne zum Beispiel ein Standort außerhalb der Ukraine mit finanzieller Unterstützung durch Partner und mit internationalen Staatsanwälten und Richtern die Unparteilichkeit und die Legitimität dieses Gerichtes untermauern.

Baerbock schlägt Reform des Völkerstrafrechts vor

Baerbock schlug zugleich eine Reform des Völkerstrafrechts vor, um eine eklatante Rechtslücke zu schließen. Demnach sollen die rechtlichen Grundlagen für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mittelfristig so angepasst werden, dass auch der Tatbestand des Angriffskrieges uneingeschränkt verfolgt werden kann. So solle es für die Eröffnung eines Verfahrens beim Weltstrafgericht ausreichen, wenn der Opferstaat einer Aggression unter die Jurisdiktion des Gerichtshofes falle. Nun ist es so, dass nur der UN-Sicherheitsrat den Fall dem Gericht übertragen kann, da weder Russland noch die Ukraine Vertragspartner sind. Es dürfe »keinen Sonderweg für ein Land, für einen Aggressor geben«, sagte Baerbock.

»Brauchen klare Botschaft an die russische Führung«

Ein Sondertribunal sei »keine ideale Lösung, auch nicht für mich«, räumte Baerbock ein. »Aber dass wir diese Sonderlösung brauchen, liegt daran, dass unser Völkerrecht eben derzeit eine Lücke hat.« Man rede zudem nicht über Probleme in 20 Jahren, »sondern über Gerechtigkeit von heute«. Man brauche eine »ganz klare Botschaft an die russische Führung (...) und damit auch an alle anderen in der Welt, dass ein Angriffskrieg in dieser Welt nicht ungestraft bleibt«.

Putin vor Sondertribunal wohl zunächst durch Immunität geschützt

Baerbock räumte ein, das auch ein solches Tribunal »die Troika« aus dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, Ministerpräsident Michail Mischustin und Außenminister Sergej Lawrow zunächst nicht anklagen könne. Wegen derer Immunität ist es voraussichtlich erst nach Ende ihrer Amtszeit möglich. Mit ihrem Vorstoß zielt Baerbock auf die russische Führungselite. Dabei dürfte es um bis zu 25 Mitglieder des russischen Sicherheitsrates gehen, angefangen etwa bei Verteidigungsminister Sergej Schoigu.

Experten sehen Nachteile durch ein Sondergericht

Ein Sondertribunal hat nach Ansicht von Rechtsexperten auch Nachteile. So müsste ein solches Gericht erst langwierig aufgebaut werden, von der Anstellung der Richter und Ankläger bis hin zur Erstellung eines rechtlichen Rahmens. Auch ein Sondergericht bietet keine Garantie, dass tatsächlich Putin oder seine Führungsriege vor Gericht gestellt werden. Denn zur Zeit scheint es ausgeschlossen, dass sie jemals ausgeliefert werden.

© dpa-infocom, dpa:230116-99-233884/5