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Bürgergeld-Pläne nehmen Gestalt an - Höhe offen

Nach 18 Jahren soll Hartz IV abgeschafft und durch ein »Bürgergeld« ersetzt werden. Nun kommen aus der Bundesregierung erste Details dazu. Eine wesentliche Frage bleibt aber erstmal unbeantwortet.

Hartz-IV
Eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit in Düsseldorf berät eine Kundin. Foto: Oliver Berg
Eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit in Düsseldorf berät eine Kundin.
Foto: Oliver Berg

Die Pläne der Ampel-Regierung für eine Ablösung von Hartz IV durch das sogenannte Bürgergeld im kommenden Jahr werden konkreter.

Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) präsentierte Einzelheiten. Ein Gesetzentwurf aus seinem Haus ist demnach fertig und wird nun innerhalb der Regierung abgestimmt. Heils Pläne sehen einen milderen Umgang des Staates mit Empfängern des Bürgergeldes vor, als das bei Hartz IV der Fall war. Wie milde und wie viel Geld es für Bedürftige geben soll, das ist in der Koalition aber längst nicht ausgemacht. Die FDP trat am Mittwoch auf die Bremse.

Karenzzeit für Vermögen

Konkret sehen Heils Pläne Karenzzeiten für Menschen vor, die nach einem Jahr Arbeitslosigkeit ins Bürgergeld (das heutige Arbeitslosengeld II) rutschen. Vorhandenes Vermögen soll demnach in den ersten beiden Jahren erst ab einer Grenze von 60 000 Euro angerechnet werden, für jede weitere Person im Haushalt steigt die Grenze um 30.000 Euro. »Es soll so sein, dass die Menschen, die in das neue Bürgergeld kommen, (...) sich nicht die Sorge machen müssen, dass ihr kleines Erspartes oder Vermögen weggesäbelt wird«, sagte Heil. Nach den zwei Jahren soll das Schonvermögen bei 15.000 Euro liegen.

Wohnung erstmal behalten

Heil will nach eigenen Worten Betroffene in einer existenziellen Situation ein Stück »entstressen«. Deshalb plant er für die ersten beiden Jahre im Bürgergeld-Bezug auch eine Anerkennung der tatsächlichen Kosten für die Wohnung, auch wenn diese größer und teurer ist und über dem als »angemessen« eingestuften Niveau liegt. Der Druck, sich schnell eine kleinere Wohnung zu suchen, wäre damit weg. Geplant ist auch eine »Vertrauenszeit« von sechs Monaten. In dieser Phase sollen keine Leistungen gekürzt werden, wenn sogenannte Pflichtverletzungen vorliegen, also zum Beispiel Termine nicht wahrgenommen werden.

Weniger Bürokratie, mehr Weiterbildung

Die Reform sieht auch bürokratische Entlastungen der Jobcenter vor. Sie sollen sich nicht mehr mit Rückforderungsbescheiden herumschlagen müssen, wenn jemand zu viel Geld erhalten hat. Eine Bagatellgrenze von 50 Euro ist hier geplant. Ein starker Fokus liegt zudem auf der Weiterbildung, weil überall Arbeitskräfte fehlen. Bürgergeld-Empfänger, die einen Berufsabschluss nachholen, sollen mehr Zeit dafür bekommen und ein monatliches »Weiterbildungsgeld« in Höhe von 150 Euro. Geplant sind auch höhere Hinzuverdienstgrenzen für Schüler, Studierende und Azubis.

Die große Frage nach dem »Wie viel?«

Eine wesentliche Frage bleibt noch unbeantwortet: Wie viel Bürgergeld soll es eigentlich geben? Der Hartz-IV-Regelsatz für alleinstehende Erwachsene liegt im Moment bei 449 Euro im Monat. Wie es beim Bürgergeld aussehen könnte, wird sich laut Heil im September zeigen, wenn Daten zur Lohn- und Preisentwicklung vom Statistischen Bundesamt vorliegen, anhand derer die Sätze jährlich fortgeschrieben werden.

Sozialverbände fordern aber schon lange deutlichere Erhöhungen. Auch Heil ist für neue Berechnungsmethoden, so dass die Leistungen nicht mehr der Inflation hinterherhinkten, wie er am Mittwoch sagte. Er bekräftigte seine Wunschgrößenordnung von rund 40 bis 50 Euro mehr im Monat.

Gegenwind vom Koalitionspartner FDP

Hier wird es aber noch schwierige Verhandlungen mit der FDP geben. Er sei nicht dafür, die Regelsätze über die Anpassung an die Inflation hinaus pauschal zu erhöhen, sagte Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner am Mittwoch bei »ntv.de«. »Stattdessen müssen wir die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern. Aus dem Bürgergeld darf kein bedingungsloses Grundeinkommen werden.« Auch eine Debatte über andere Berechnungsmethoden wird in der FDP abgelehnt. Stattdessen ist sie für Leistungskürzungen, wenn Empfänger Arbeits- oder Weiterbildungsangebote nicht annehmen oder Termine versäumen.

SPD-Chefin Saskia Esken pocht trotz Widerstands der FDP darauf, die Regelsätze durch die neue Berechnungsmethode zu erhöhen. »Wir dürfen die Menschen mit geringen Einkommen mit den anhaltenden Preissteigerungen nicht alleine lassen«, sagte Esken dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). So wie der Mindestlohn müssten auch die Regelsätze in der Grundsicherung »kräftig steigen«.

»Ich bin mir sicher, dass auch unsere Koalitionspartner bereit sind, die Menschen in dieser schwierigen Lage zu unterstützen, so dass wir im Herbst gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen werden«, sagte die SPD-Vorsitzende.

Grundsätzlich sind sich die Ampel-Parteien aber einig: Nach 18 Jahren soll Hartz IV Geschichte sein. Die Bezeichnung geht zurück auf eine Kommission unter der Leitung des früheren VW-Managers Peter Hartz. Sie erarbeitete wegen der damals sehr hohen Arbeitslosenzahlen für die Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) Vorschläge für Arbeitsmarkt- und Sozialreformen. Die Folge war unter anderem mehr Druck auf arbeitsfähige Erwerbslose.

Für die SPD ist die Reform bis heute eine Art Trauma. Es folgten Proteste und später die Vereinigung der weitgehend im Osten verankerten PDS mit der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) zur Linkspartei. Die Sozialdemokraten hatten schon 2019 auf einem Parteitag die Abkehr von Hartz IV beschlossen. In der großen Koalition war Heil als Arbeitsminister damit aber chancenlos.

© dpa-infocom, dpa:220720-99-84511/5