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Bürgergeld-Reform: Auf Bundestag folgt Zitterpartie

Nach einer hochemotionalen Debatte hat der Bundestag grünes Licht für das Bürgergeld gegeben. Entscheidend ist nun der Bundesrat. Sollte die Union die Reform dort blockieren, stehen schwierige Wochen bevor.

Bundestag
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wirft seine Stimmkarte zum Bürgergeld im Bundestag ein. Foto: Michael Kappeler
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wirft seine Stimmkarte zum Bürgergeld im Bundestag ein.
Foto: Michael Kappeler

»Fake News«, »soziale Kälte« und »schizophren«: Die Worte, die an diesem Donnerstag im Plenum gefallen sind, zeigen, wie aufgeladen die Debatte über das geplante Bürgergeld ist. Zwar hat der Bundestag das Vorhaben am Mittag mit der Mehrheit von SPD, Grünen und FDP abgesegnet. Doch die wichtigste Hürde im Bundesrat ist noch nicht genommen.

Am Montag wird sich die Länderkammer in einer Sondersitzung mit der Sozialreform befassen. Sollte die Union, wie angekündigt, das Vorhaben dort blockieren, könnte laut Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein »zügiges Vermittlungsverfahren« die Reform noch retten. Heil warb erneut dafür, die Zustimmung zur »größten Sozialstaatsreform seit 20 Jahren« nicht zu verweigern. Hier ein Überblick über die Details der Reform - und die Streitpunkte.

Bürgergeld soll Hartz IV überwinden

Kern der Reform ist ein Systemwechsel: Vor 20 Jahren hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eine Kommission eingesetzt unter der Leitung von Ex-VW-Manager Peter Hartz. Aus deren Reformvorschlägen gegen die damalige Massenarbeitslosigkeit entstanden mehrere Gesetze: »Hartz I« bis »Hartz IV«. Der Druck auf Arbeitslose wurde erhöht, was zu Protesten führte und letztendlich in der Abwahl von Schröder gipfelte. Nun soll dieses seit Jahren umstrittene System Hartz IV weg. Arbeitslose sollen künftig weniger durch angedrohten Leistungsentzug (Sanktionen) unter Druck gesetzt und dafür bei Weiterbildungsmaßnahmen stärker unterstützt werden.

Großer Dissens im Bundestag

Im Plenum zeigte sich am Donnerstag sehr deutlich, dass es zwischen Regierung und Opposition in dieser Sache große Meinungsunterschiede gibt. Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe (CDU) warf der Ampel vor, sich jeglicher Debatte über die »Webfehler« des Bürgergeld-Gesetzes zu verweigern. »Mit dieser Arroganz bringen Sie den Sozialstaat nicht nach vorne, mit dieser Arroganz werden Sie scheitern!«, sagte Gröhe. Auch AfD und Linke äußerten Unmut über das Bürgergeld - allerdings aus unterschiedlichen Gründen. AfD-Fraktionsvize Norbert Kleinwächter sagte, das Bürgergeld helfe künftig vor allem Menschen, die nicht willens seien zu arbeiten. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch störte sich dagegen vor allem daran, dass es aus seiner Sicht mit den Reformplänen nicht zu einer wirklichen Abkehr von Hartz-IV kommt.

Höhere Regelsätze

Der heutige Hartz-IV-Regelsatz von 449 Euro für Alleinstehende soll auf 502 Euro angehoben werden. Dass es mindestens so viel sein muss, ist wegen der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten unstrittig. CDU und CSU hatten vorgeschlagen, die Erhöhung mitzutragen, sie aber aus dem Bürgergeld-Gesetz herauszulösen, damit sie als Einzelmaßnahme zum 1. Januar in Kraft treten kann. Die Ampel lehnt das ab.

»Vertrauenszeit« und »Karenzzeit«

Zwei der Schlagwörter im Bürgergeld-Gesetz. Man wolle niemanden unter Generalverdacht stellen, heißt es von der Ampel. Deshalb sollen Leistungen in den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezugs (»Vertrauenszeit«) nur in Ausnahmefällen gekürzt werden, wenn jemand beharrlich mit dem Jobcenter nicht kooperiert. Für die ersten beiden Jahre (»Karenzzeit«) soll zudem niemand sein Vermögen antasten müssen, es sei denn, es ist »erheblich« und liegt über 60 000 Euro, plus 30 000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied. Auch ein Umzug in eine kleinere Wohnung soll in der Karenzzeit nicht nötig sein.

»Schonvermögen«

Auch nach zwei Jahren Bürgergeldbezug soll mehr Vermögen als bisher unangetastet bleiben. Das betrifft auch Anlagen zur Altersvorsorge oder Eigenheime bis 140 und Eigentumswohnungen bis 130 Quadratmetern. Es gehe nicht um große Villen im Tessin, sagt Heil. »Es geht um die Frage, dass Leute, die sich im Leben etwas erarbeitet haben, wenn sie in Not geraten, nicht alles auf den Kopf hauen müssen.«

Weiterbildung

Zusätzlich zum Bürgergeld soll es 150 Euro Weiterbildungsgeld pro Monat geben, wenn jemand einen Berufsabschluss nachholt, oder 75 Euro zusätzlich, wenn andere Weiterbildungsmaßnahmen angenommen werden. Ziel soll es künftig nicht mehr sein, Betroffene möglichst schnell in irgendeinen Job zu vermitteln, sondern durch Weiterbildung für eine dauerhafte Tätigkeit vorzubereiten.

Wie es nun weitergeht

Die Zukunft des Bürgergelds hängt nun vor allem am Votum der unionsgeführten Länder im Bundesrat. Nach der für Montag anberaumten Sondersitzung wird sich zeigen, ob es zur Vermittlung kommen muss. Damit ist eine Kompromisssuche im gemeinsamen Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat gemeint. Ob das Bürgergeld dann noch, wie geplant, zum 1. Januar 2023 in Kraft treten kann, hängt davon ab, ob der Prozess bis Ende November abgeschlossen wäre. Der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt, sagte am Donnerstag dem Sender »Welt«: »Ich gehe davon aus, dass es sehr langwierige Verhandlungen werden.«

© dpa-infocom, dpa:221110-99-458867/11