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Überleben im Schutz des Dschungels von Myanmar

Vor zwei Jahren putscht sich die Junta in Myanmar an die Macht. Das Grauen, das sie verbreitet, wird international oft vergessen. Eindrücke aus einem Flüchtlingscamp im Dschungel.

Binnenvertriebene in Myanmar
Vertriebene Kinder spielen in dem Camp. Foto: Athens Zaw Zaw
Vertriebene Kinder spielen in dem Camp.
Foto: Athens Zaw Zaw

Khin Khin führte ein glückliches Leben nahe der Stadt Hpa-an im Südosten von Myanmar, als sich vor zwei Jahren schlagartig alles änderte. Die Region mit ihren zahlreichen Höhlen und Pagoden lockte bis dahin auch Touristen aus aller Welt. Die 44-Jährige arbeitete als Krankenschwester. Verheiratet, Mutter von drei Kindern. Ihr Ehemann war Mitglied der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), der Partei der damaligen Regierungschefin Aung San Suu Kyi. Als das Militär putschte und die Soldaten kamen, war die Familie gerade nicht zu Hause. Das war ihre Rettung.

Heute lebt Khin Khin als Binnenvertriebene im Dschungel des Bundesstaates Karen an der Grenze zu Thailand. »Ich kann erst nach Hause zurückkehren, wenn Min Aung Hlaing tot ist«, sagt sie. Gemeint ist jener General, der als Drahtzieher des Umsturzes vom 1. Februar 2021 gilt - und der mit Russland einen mächtigen Verbündeten hat.

Seit jenem verhängnisvollen Tag ist das frühere Birma, das gerade auf dem Weg zu demokratischen Reformen war, unaufhaltsam zurück in die Tage früherer Militärdiktaturen geglitten. Suu Kyi wurde festgenommen und mittlerweile zu insgesamt mehr als 30 Jahren Haft verurteilt. Das Land ist zum Synonym für blutige Unterdrückung, Chaos und Verzweiflung geworden. Jeder Widerstand wird brutal unterdrückt. Die Junta schreckt dabei weder davor zurück, bei Luftangriffen wahllos Zivilisten zu töten, noch Oppositionelle zu Tode zu foltern.

Andere Krisen ziehen die Aufmerksamkeit auf sich

Nach jüngsten Schätzungen des nichtstaatlichen Think Tanks »Institute for Strategy and Policy - Myanmar« (ISP) sind seit dem Umsturz bereits zwei Millionen Menschen vor den Attacken und Festnahmen der Armee geflohen - und leben als Vertriebene im eigenen Land. Sie kommen aus Großstädten wie Yangon und Mandalay ebenso wie aus kleinen Dörfern. Oft haben sie sich tagelang durch den Dschungel gekämpft.

Die Welt blickt derzeit auf andere Orte des Grauens, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine vor allem, oder den Bürgerkrieg in Syrien. Der Horror von Myanmar macht deshalb kaum noch Schlagzeilen. Aber für die meisten der 54 Millionen Einwohner des südostasiatischen Landes, das an Thailand, Laos, Indien, Bangladesch und China grenzt, sind die ständigen Übergriffe des Militärs schreckliche Realität.

Die singapurische Zeitung »Straits Times« stellte kürzlich fest: »Von der Ukraine bis nach Syrien und Myanmar, wir leben in einer Welt der Flüchtlinge.« Seit 1945 habe es nicht mehr so viele Vertriebene gegeben. »Ein Flüchtling zu sein - losgerissen von Heimat, Freunden, Besitz, Kultur - ist immer eine entsetzliche Zwangslage«, so das Blatt. Das musste auch Maung Win erfahren, ein Polizist aus Yangon, der sich dem Widerstand angeschlossen hat.

Lebensbedingungen in Camps sind schlecht

Er rodet gerade Teile des Waldes, um bombensichere Unterschlüpfe zu bauen. Sie sollen die Flüchtlinge vor den Luftangriffen der Junta schützen. Genau wie Khin Khin lebt er derzeit in einem Gebiet, das von der mächtigen »Karen National Union« (KNU) kontrolliert wird. Die KNU ist die älteste bewaffnete Gruppe im Vielvölkerstaat Myanmar. Seit mehr als 70 Jahren kämpft sie für die Freiheit und bietet seit dem Putsch vielen Binnenvertriebenen Schutz.

»Ich werde es nie bereuen, diesen Weg gewählt zu haben, ich bin stolz darauf«, sagte Maung Win (27) der Deutschen Presse-Agentur. »Mir wurde befohlen, mich dem Militär anzuschließen, aber ich lehnte ab und bin dem Widerstand beigetreten.« Als er erzählt, wie er Familie und Freunde hinter sich lassen musste, seufzt er tief.

Die meisten im Camp leben in kleinen Hütten oder Zelten. Sauberes Trinkwasser gibt es nicht. Viele leiden unter Krankheiten wie Durchfall. Medikamente sind knapp, Nachschub zu besorgen gefährlich. Um neue Siedlungen zu bauen, werden Waldstücke abgebrannt. In die Flammen werden Abfälle geworfen, weil die Menschen nicht wissen, wo sie sie sonst entsorgen sollen. Der Geruch ist beißend. Aber das Schlimmste ist die Ungewissheit. Werden sie je heimkehren können?

Viele Vertriebene sind Kinder

Auch im angrenzenden Karenni-Staat (auch Kayah-Staat genannt) haben sich viele in die Wälder geflüchtet. Nang Phaw war schwanger, als die Streitkräfte der Junta Anfang 2022 mit schweren Waffen ihr Dorf angriffen. »Ich hatte Todesangst, ich dachte, eine der Raketen würde mir direkt auf den Kopf fallen«, erzählt die 28-Jährige. Sie sei einfach in die Dunkelheit hinausgerannt, ziellos, planlos, panisch. Seither ist sie ein Flüchtling - zum ersten Mal in ihrem Leben.

Nach Erhebungen der Organisation »Karenni Human Rights Group« sind 20 Prozent der Vertriebenen Kinder unter acht Jahren. Die meisten leiden an Mangelernährung. Hilfslieferungen unter anderem der Vereinten Nationen werden Menschenrechtlern zufolge immer wieder von der Junta blockiert. Eine Zahl, die zu denken gibt: Im Karenni-Staat leben 200.000 der knapp 300.000 Einwohner mittlerweile als Binnenvertriebene.

Immer wieder gibt es Berichte über Massaker an der Zivilbevölkerung. Eines der schlimmsten wurde Ende 2021 bekannt. Im Karenni-Staat wurden in verbrannten Fahrzeugen die verkohlten Leichen von mehr als 30 Menschen gefunden, darunter Kinder sowie zwei Mitarbeiter von Save the Children. »Das Militär hat Berichten zufolge Menschen aus ihren Autos gezwungen, einige festgenommen, andere getötet und ihre Körper verbrannt«, teilte die Kinderhilfsorganisation damals mit und verurteilte den Angriff als Bruch des humanitären Völkerrechts.

Terror des Militärs: Dörfer werden angezündet

Zur Strategie des Militärs gehört auch, möglichst viele Häuser zu zerstören. Schätzungen zufolge sollen es bereits Zehntausende sein. »Das Militär will den Menschen Angst machen«, ist Ko Tun überzeugt, der Vertriebenen hilft. Wenn es auch nur einen Verdacht gebe, dass sich irgendwo ein Mitglied des Widerstands verstecke, würde oft die ganze Ansiedlung niedergebrannt. »Dörfer anzuzünden halten die Soldaten für nützlich, darum machen sie es regelmäßig.«

Am meisten sorgen sich die Flüchtlinge um die Zukunft ihrer Kinder. Denn auf der weltweiten Bühne steht Myanmar nur selten oben auf der Agenda. »Ich muss meine derzeitige Situation akzeptieren, weil ich will, dass sie irgendwann in Freiheit leben können«, sagt Min Min aus Yangon. Der 40-jährige Vater eines Sohnes und einer Tochter ist ebenfalls in den Dschungel an der Grenze zu Thailand geflohen. »Was aus mir wird, ist mir relativ egal, aber ich habe noch Hoffnung für meine Kinder und dass sich all die Opfer, die wir bringen, auszahlen. So dass wir eines Tages nach Hause zurückkehren können.«

© dpa-infocom, dpa:230131-99-419161/6