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Wie Blinde bei der Brustkrebsvorsorge helfen

Mit dem besonderen Tastsinn blinder Helferinnen will ein Frauenarzt aus Duisburg die Brustkrebsvorsorge besser machen. Eine Studie zeigt: Ihr Einsatz hat sich bewährt. Doch es gibt Grenzen.

Brustkrebsvorsorge
Filiz Demir, blinde Medizinische Tastuntersucherin, untersucht die Brust von einer Patientin. Foto: Caroline Seidel
Filiz Demir, blinde Medizinische Tastuntersucherin, untersucht die Brust von einer Patientin. Foto: Caroline Seidel

DUISBURG. Filiz Demir ist blind, doch mit ihren Händen und viel Geduld kann sie erkennen, was Ärzte manchmal unter Zeitdruck übersehen könnten: Schon kleinste Veränderungen im Brustgewebe ihrer Patientinnen, hinter denen Brustkrebs stecken könnte.

Ertasten ihre besonders sensiblen und geschulten Fingerspitzen eine Auffälligkeit, zieht sie den Arzt hinzu, der dann mittels Ultraschall oder Mammografie genauer hinschauen kann.

Die Methode, nach der Demir arbeitet, ist nun erstmals auf ihre Wirksamkeit überprüft worden. Das Ergebnis: Die sogenannten Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTUs) finden bei der Brustkrebsvorsorge genauso häufig Auffälligkeiten im Gewebe, die dann genauer untersucht werden müssen, wie der Arzt. »Tun beide sich zusammen, können sie Auffälligkeiten in der Tastuntersuchung häufiger erkennen als der Arzt alleine«, sagt Michael Lux von der Frauenklinik der Universität Erlangen.

Die Patientin auf der Liege vor Tastuntersucherin Filiz Demir vertraut schon länger auf die Methode. Die 43-jährige Daniela Frankenthal geht jährlich zur Früherkennung. Demirs Hände wandern dann Zentimeter für Zentimeter ihre beiden Brüste ab. Orientierung bieten der Blinden dabei zwei selbstklebende Papierstreifen, die die Brust in eine Art Koordinatensystem verwandeln.

Lux hat die Effektivität der Methode bei insgesamt 395 Frauen untersucht und die Ergebnisse seiner Pilotstudie im Fachmagazin »Breast Care« veröffentlicht. Bei Frauen ohne vorherige Brustoperation habe sich der Einsatz bewährt, so sein Fazit. Viele Ärzte hätten dies bislang bezweifelt, vielleicht auch, weil sie fürchteten, ihre eigene Arbeit könnte damit als weniger wertvoll eingeschätzt werden.

In 82 Prozent aller nicht-voroperierten Fälle stellten MTUs abklärungsbedürftige Gewebeauffälligkeiten korrekt fest, ohne deutlichen Unterschied zu Ärzten. Kombinierte man die Treffergenauigkeit beider, lag sie bei 89 Prozent. »Größere Unsicherheit herrschte bei Patientinnen mit vorheriger Brustoperation« - im Erlanger Brustzentrum ein Großteil der Stichprobe.

»Mit dem oftmals vernarbten Gewebe kamen die Tasterinnen nicht so gut klar wie die darauf spezialisierten Ärzte«, erklärt Lux. Im Umkehrschluss glaubt er, dass MTUs bei der Früherkennung im Praxisalltag vieler Gynäkologen die Nase deutlicher vorn haben könnten. Viele Kollegen arbeiteten hier im Routinefall unter großem Zeit- und Kostendruck. Eine Tastuntersuchung durch sehbehinderte Helfer dauert mindestens 30 Minuten, die Kosten von 46,50 Euro übernehmen inzwischen 26 Krankenkassen bundesweit.

Vor einer Überbewertung der Methode warnen andere Kollegen: Es sei zu berücksichtigen, dass MTUs mit einer halbstündigen Untersuchung ähnlich gute Ergebnisse erzielten wie der Arzt in nur einigen Minuten, sagt Sherko Kümmel, Direktor des Brustzentrums der Kliniken Essen-Mitte. Zwar sei er froh über die Aufmerksamkeit für das Thema Brustkrebsvorsorge, »es sollten aber keinesfalls falsche Hoffnungen geweckt werden, dass die Tastuntersucherinnen besser sind als das, was die Medizin bisher leistet«.

Der menschliche Tastsinn - ganz gleich ob von Blinden oder erfahrenen Ärzten - sei nicht gleichwertig mit anderen Untersuchungsmethoden. »Wichtiger für eine Verbesserung der Vorsorge wäre es beispielsweise, den Ultraschall für weitere Risikogruppen, etwa bei Frauen mit sehr dichtem Drüsengewebe, zu finanzieren«, fordert Kümmel. Solche Kosten übernehmen bisher nur einige Krankenkassen. Eine Mammografie gehört in der Regel erst für Patientinnen über 50 Jahren zum vorgeschriebenen Leistungskatalog.

Auch sehr sensible Fingerspitzen könnten weder die Mammografie noch den Ultraschall ersetzen, sagt auch Tanja Fehm von der Universitätsklinik Düsseldorf und der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie. Sie hält die Arbeit der MTUs dennoch für eine wertvolle Zusatzleistung - »gerade für Patientinnen, die die oft schambesetzte Brustuntersuchung scheuen. Da ist es für manche leichter, wenn Blinde diese wichtige Aufgabe übernehmen«.

Brustkrebs ist mit etwa 70.000 Neuerkrankungen jährlich die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland - und trifft auch Jüngere: Laut Zentrum für Krebsregisterdaten sind fast 30 Prozent der Betroffenen bei Diagnosestellung unter 55 Jahre alt, ein Alter, in dem andere Krebserkrankungen zahlenmäßig noch kaum eine Rolle spielen.

»Lebensgefährlich ist nicht der Tumor in der Brust. Lebensgefährlich ist er, wenn er im Körper gestreut hat«, sagt Frank Hoffmann, Gynäkologe und Initiator von Discovering Hands, jenem Unternehmen, das MTUs ausbildet und das Angebot weltweit verbreiten will. Bereits vor über zehn Jahren kam ihm die Idee, die aus seiner Sicht optimierungswürdige Früherkennung per Tastuntersuchung durch die besonderen Qualitäten Sehbehinderter zu verbessern.

Er sieht bei den geschulten Kräften das Potenzial, schon sehr kleine Gewebeveränderungen zu ertasten: »Bei mir ist bei Kirschkerngröße meist Schluss. Da haben viele Tumore jedoch schon gestreut.« Überflüssig mache das seine ärztliche Arbeit keineswegs. Die MTUs tasten und berichten dem Arzt, dieser bewertet den Befund. »Ich sehe die MTUs als diagnostisches Instrument«, betont Hoffmann. Sie seien aber eben kein kalter Apparat, sondern Menschen, die den Patientinnen auch gut tun.

Das spiegelt sich ebenfalls in der Studie: Fast alle Patientinnen gaben zu Protokoll, dass sie die Untersuchung als positiv empfanden und weiterempfehlen würden. Mediziner Lux verbindet damit die Hoffnung, dass von den Tastuntersuchungen noch weitere Effekte ausgehen könnten: Gelänge es dadurch, Frauen regelmäßiger zur Früherkennung zu bewegen als bisher, wäre das ein wichtiger Erfolg.