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Wenn Wörter nur schwer über die Lippen gehen

Es gibt keine Wunderpille gegen das Stottern. Aber Therapien. Hunderttausende Deutsche sind betroffen. Viele wünschen sich, dass sie von der Gesellschaft so akzeptiert werden wie sie sind.

Welttag des Stotterns
Anja Herde, Vorsitzende der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V. Foto: Anja Herde
Anja Herde, Vorsitzende der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V.
Foto: Anja Herde

Manchmal kämpft Wiete mit den Silben. Dann schafft es das Wort einfach nicht über ihre Lippen. Wiete stottert. Wie ihr geht es schätzungsweise mehr als 830.000 Deutschen so. Viele leiden darunter und schweigen lieber. Für die 31-Jährige war vor allem die Schulzeit die Hölle. »Die anderen haben mich ausgelacht und gemobbt.« Die Folge: Wiete hat sich zurückgezogen, wurde einsam und hat Schulaufgaben nur schriftlich abgegeben. Heute geht sie selbstbewusst damit um. »Es ist einfach anstrengend, wenn man sich versteckt.«

Der Welttag des Stotterns an diesem Samstag (22. Oktober) will dazu beitragen, dass sich weniger Menschen verstecken müssen. Stottern ist einfach ausgedrückt eine Störung des Sprechablaufs. Die Betroffenen wissen, was sie sagen möchten, können es aber nicht aussprechen oder brauchen länger dafür. Dabei werden Silben oder Laute wiederholt. Die neurologisch bedingte Störung des Redeflusses werde vererbt, sagt Anja Herde, Vorsitzende der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe.

»Eine gewisse Autobahn im Gehirn, die das Sprechen steuert, ist nicht so ausgefahren, sondern eng und holprig«, erläutert Herde, die selbst seit dem vierten Lebensjahr stottert. Beim Sprechablauf arbeite die rechte Gehirnhälfte mehr als die linke. Es müsse irgendeinen auslösenden Faktor geben, »über den wir wenig wissen«, erklärt der Neurologe Martin Sommer in einem von der Bundesvereinigung verbreiteten Video.

Es gibt gute Therapien

Für Wiete hat sich ihr Leben mit Anfang 20 verändert, als sie zu einer Logopädin gegangen ist, wie die studierte Psychologin an einem lauen Oktoberabend an der Spree in Berlin erzählt. Bei ihr habe sie gelernt, ihr Stottern zu akzeptieren und damit umzugehen.

»Für alle Altersgruppen gibt es sinnvolle Therapien«, sagt der Logopäde Robert Richter in Leipzig. Stottern beginne in der Regel ab dem dritten Lebensjahr und könne bis ins hohe Alter andauern. »Bei 70 bis 80 Prozent der Kinder, die damit anfangen, bildet sich das Stottern wieder zurück, gegebenenfalls auch ohne therapeutische Unterstützung.« Doch nicht allen gelingt das.

Allerdings lasse sich mit Therapien das »überdauernde Stottern« in den meisten Fällen gut behandeln, erklärt Richter. Nach seinen Angaben gibt es zwei große Therapie-Richtungen: das Erlernen einer Sprechtechnik und eine zur Stressreduktion. Bei der Sprechtechnik gehe es zum Beispiel darum, »das einzelne Stotter-Ereignis leicht zu lösen. Denn in der Folge des Stotterns können sich emotionale Reaktionen wie Angst und Scham entwickeln.«

Wiete wendet bei dem Gespräch nur einmal eine Sprechtechnik an. Es klingt künstlich, findet sie. Normalerweise macht die 31-Jährige das nur, wenn sie zum Beispiel einen Vortrag hält. Bei ihr stehen nun Bewerbungsgespräche an. Sie sage dann zu Beginn des Treffens, dass sie stottert. »Es gab bisher keine nennenswerten Reaktionen darauf.«

Hoffen auf Wundermittel

Bei manchen ist die Sehnsucht groß nach einem Wundermittel als Alternative zu den Therapien. »Nach meinem Empfinden gibt es aktuell wieder mehr Forschung«, sagt Anja Herde, die Vorsitzende der Bundesvereinigung. Es gehe aber vielmehr darum, die »Einstellung hin zu einer inklusiven Gesellschaft zu verändern und Stotternde zu unterstützen. Sie sollen so sprechen können, wie sie es nun mal tun.«

Herde setzt vor allem auf Aufklärung. Bei der Beratung von Betroffenen gehe es auch darum, das Umfeld zu sensibilisieren, um Stotternden den Alltag zu erleichtern. Die Bundesvereinigung zählt deutschlandweit 98 Selbsthilfegruppen. Viele haben sich in der Pandemie online getroffen, was für einige den Zugang erleichtert habe, weil die Hürde geringer gewesen sei, sagt Herde.

Was hat die Corona-Pandemie mit Stotterern gemacht? »Die Maske ist ein Thema«, meint sie. Hinter dem Mund-Nasen-Schutz lässt sich nicht immer erkennen, dass jemand um Worte ringt. Das könnte missverstanden werden. »Es gibt auch Stotternde, die sich verstärkt zurückgezogen haben, wenn sie kein soziales Umfeld als Anker haben.« Da sei die Gefahr eines Abrutschens in eine Depression groß, sagt Herde. Zudem werde mehr übers Internet kommuniziert. Dort zu sprechen sei eine große Herausforderung. »Du siehst online nicht die ganze Mimik und Gestik, und die soziale Interaktion ist eingeschränkt.«

Die Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe will Betroffenen Mut machen. »Wer stottert, ist in guter Gesellschaft«, heißt es auf der Internetseite. Dort sind stotternde Prominente aufgelistet wie Unheilig-Sänger Der Graf. »Was wir uns wünschen? Dass wir so behandelt werden wie flüssig sprechende Menschen«, sagt die 31-jährige Wiete. »Dass die Menschen Blickkontakt halten und keine Wörter vorwegnehmen«, wenn es beim Sprechen mal länger dauere.

Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe

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