Hochsommer, Trockenheit, Niedrigwasser: An der Südspitze der Rheininsel Niederwerth bei Koblenz ist eine riesige Kiesfläche trockengefallen. Zoologieprofessor Jochen Koop bückt sich an der Wasserlinie und hebt Körbchenmuscheln auf. Einige leben noch, andere sind schon tot.
Im von der Sonne stärker aufgeheizten Niedrigwasser mit weniger gelöstem Sauerstoff haben sie Probleme mit dem Stoffwechsel bekommen, wie der Biologe der Koblenzer Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) erklärt. »Die Temperatur hier im Flachwasser ist wie in einer Badewanne.« Das inzwischen extreme Niedrigwasser vieler Flüsse nervt nicht nur Binnenschiffer. Auch die Natur leidet.
Wieder auf dem Weg zum Fischsterben
Beispielsweise im heißen Sommer 2003 ist es schon zu einem Fisch- und Muschelsterben in Flüssen gekommen. »Da sind rund 50.000 tote Aale im ganzen Rhein angeschwemmt worden«, sagt Koop. Weniger Wasser, teils mehr Strömung, höhere Wassertemperatur, weniger Sauerstoffkonzentration: Atmung und Bewegung kosten Tiere viel mehr Energie, sie können nicht genug davon aufnehmen. Sie werden schwächer und anfälliger für Krankheiten. »Auch 2006 und 2007 hat es am Rhein Hitzeperioden, aber nicht zugleich so sehr Niedrigwasser gegeben«, erinnert sich der Biologe. Das sei für Tiere weniger dramatisch gewesen. »Aber 2022 sind wir wieder auf dem Weg zum Fischsterben«, befürchtet Koop. Falls es nicht bald länger regne und die Flusspegel weiter fielen, »könnten wir Ende August, Anfang September wieder den Kipppunkt erreichen«.
Die Stadt Düsseldorf teilt mit, zwar liege die Wassertemperatur im Rhein hier noch gerade unterhalb der für Fische kritischen Schwelle von dauerhaft mehr als 26 Grad Celsius. Dennoch verringere sich mit der Erwärmung eben das Sauerstoffbindevermögen im Wasser. Zugleich zögen sich Fische mit sinkendem Wasserstand in die tiefere Fahrrinne zurück, wo sie den Schiffen ausweichen müssten. Beides stresse sie.
Karsten Rinke, Leiter der Abteilung Seenforschung beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Magdeburg, erklärt zudem: »Bei Niedrigwasser wird der Anteil gereinigten Abwassers im Abflussgeschehen immer höher. Im Rhein, der Elbe und der Oder kann er bei Dürreverhältnissen abschnittsweise über 40 Prozent des Abflusses betragen.« Das erhöhe die Konzentration von Schad- und Nährstoffen im Wasser. Damit könne es »auch zu Schadstoffanreicherungen in den Organismen kommen, die im Fall von Fischen die menschliche Nahrungsversorgung erreichen«.
Lebensraum geht verloren
Die bei Niedrigwasser zunehmende Erhitzung kann laut Rinke zur Entstehung sauerstofffreier Zonen führen, etwa auf der Flusssohle. »Die betroffenen Bereiche sind als Lebensraum für Fische, Muscheln, Insekten und so weiter verloren. Während Fische gegebenenfalls in andere Gewässerbereiche ausweichen können, ist dies für Muscheln nicht der Fall«, erklärt der promovierte Biologe. Sie können sterben.
Gleichzeitig kann es mehr tierische Einwanderer aus wärmeren Gebieten geben. Schon jetzt hat sich beispielsweise die Schwarzmeergrundel, ein nach seiner Herkunft benannter Fisch, in deutschen Flüssen verbreitet. »Dies wird in Zukunft stark zunehmen und die Artengemeinschaften werden sich stark verändern«, sagt Rinke voraus.
In der Oder ist es gerade zu einem massiven Fischsterben gekommen. Eine eindeutige Erklärung gab es vorerst nicht. Womöglich sei eine Substanz mit stark oxidierenden Eigenschaften ins Wasser gelangt, hatte das Gewässeramt im polnischen Wroclaw Anfang August mitgeteilt. Zudem wurde an zwei Stellen die giftige Substanz Mesitylen nachgewiesen. Ermittlungen laufen. Auch in Deutschland wurden in der Oder viele tote Fische gefunden. Der Fluss führt ebenfalls Niedrigwasser. Die dadurch bedingte generelle relative Erhöhung von Schadstoffanteilen könnte das Fischsterben befördert haben.
Kleinere Gewässer ebenfalls betroffen
Sommerdürre betrifft auch Bäche. »Kleine Fließgewässer sind oft viel stärker betroffen als große«, erklärt der Biologe. Der Anteil von Abwasser könne hier höher sein. Außerdem versiegten manche Bäche mittlerweile zeitweise - auch mangels Grundwassers. »Trockengefallene Flussbetten sind ein Totalverlust für die Flora und Fauna des Gewässers«, mahnt Rinke. In Sachsen-Anhalt und Brandenburg etwa sei das Grundwasser seit circa 2010 um einen Meter gesunken.
Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Katrin Eder (Grüne) antwortet auf eine parlamentarische Anfrage mit Blick auf Bachoberläufe in Mittelgebirgen, bei beginnender Austrocknung könnten manche Fische noch rechtzeitig in tiefere Bachabschnitte fliehen. »Anderen gelingt dies nicht und sie verenden in austrocknenden Bachbetten.« Im Dürresommer 2020 sei dies etwa im Hunsrück passiert.
Sommerliche Wassertemperaturen von Bächen lassen sich laut Eder mit der Beschattung durch Bäume und Sträucher deutlich senken zugunsten des Überlebens von Tieren. Vergleichende Untersuchungen des rheinland-pfälzischen Landesamtes für Umwelt im Juli 2022 bei verschiedenen Gewässern hätten das gezeigt.
Der Magdeburger Biologe Rinke empfiehlt, in der Landschaft wieder mehr Wasser zurückzuhalten - mit Versickerung im Boden statt mit dessen Versiegelung. »Das hilft auch bei Hochwassersituationen und Starkregen und unterstützt die landwirtschaftliche Produktion.« Alles Wasser, das in einen Fluss gelange, »ist ein bis zwei Wochen später im Meer und damit für das Land verloren«.
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