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Die große Corona-Unbekannte: Welche Rolle spielen Aerosole?

Der große Tropfen Schnodder sinkt schnell zu Boden, so viel ist klar. Doch das Coronavirus ist winzig und kann in Mini-Tröpfchen auch länger in der Luft stehenbleiben. Diese Aerosole rücken immer mehr in den Fokus der Forschung.

Aerosole
Die Atemluft eines ausatmenden Mannes ohne Mundschutz wird bei einem Versuch der Universität der Bundeswehr München erfasst und farblich dargestellt. Foto: Christian Kähler/Universität der Bundeswehr München/dpa
Die Atemluft eines ausatmenden Mannes ohne Mundschutz wird bei einem Versuch der Universität der Bundeswehr München erfasst und farblich dargestellt. Foto: Christian Kähler/Universität der Bundeswehr München/dpa

GEMÜNDEN/MÜNCHEN. Bei der Erforschung von Corona-Infektionswegen nehmen Wissenschaftler zunehmend sogenannte Aerosole unter die Lupe. Damit wird ein Gemisch aus festen oder flüssigen Schwebeteilchen - wie Partikel von Sars-CoV-2 - in der Luft bezeichnet.

»Wir sind ziemlich sicher, dass Aerosole einer der Wege sind, über die sich Covid-19 verbreitet«, sagte der frühere Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch, in Gemünden (Wohra) der Deutschen Presse-Agentur. Schmierinfektionen etwa spielten eine geringere Rolle.

Es seien aber noch viele Fragen offen, so Scheuch - zum Beispiel, wie sich das Virus beim Sprechen verbreite oder welche Rolle die Temperatur spielt. »Da muss viel Forschungsarbeit gemacht werden«, sagte er. »Aber es wird gerade immer mehr in die Richtung geforscht.« Längst nicht geklärt ist demnach auch, wie infektiös getrocknete Aerosole sind.

Laut Robert Koch-Institut (RKI) erfolgt die Übertragung des neuartigen Virus hauptsächlich über Tröpfchen, die beim Husten und Niesen entstehen und beim Gegenüber über die Schleimhäute aufgenommen werden. Aerosole - definiert als Tröpfchenkerne kleiner als fünf Mikrometer - könnten aber ebenso dazu beitragen, »auch wenn eine abschließende Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt schwierig ist«.

Es gibt schon Studien, die sich mit der Verbreitung von Tropfen und Aerosolen in der Luft befassen. Allerdings kommen die zu teils unterschiedlichen Ergebnissen. So hat ein Team um Christian Kähler vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr München mit einer Sängerin Experimente gemacht und kommt zu dem Schluss, dass die Luft beim Singen nur bis 0,5 Meter vor dem Mund in Bewegung versetzt wird - unabhängig etwa davon wie laut der Ton war. Als Tipp zum Selbertesten raten die Forscher, sich vor eine brennende Kerze zu stellen und zu schauen, wann die Flamme anfängt zu flackern, wenn man sich ihr beim Sprechen nähert.

Die Wissenschaftler Talib Dbouk und Dimitris Drikakis wiederum haben berechnet, wie weit sich Speicheltropfen bei leichtem Husten verbreiten: ohne Wind nicht weiter als zwei Meter, aber bei Winden von 4 und 15 Stundenkilometern durchaus auch sechs Meter. Zwar nähmen Konzentration und Größe der Tropfen ab, aber womöglich reiche eine Entfernung von zwei Metern nicht aus. Forscher aus Washington analysierten die Ansteckung innerhalb eines Chores und vermuteten, dass die Übertragung einem Abstand von unter zwei Metern geschuldet war. Allerdings macht Kähler klar, dass neben dem Abstand auch zu beachten sei, ob jeweils Hygieneregeln eingehalten wurden oder zum Beispiel Hände geschüttelt und Stühle gemeinsam verrückt wurden.

Weitere Aspekte, die Einfluss auf die Infektionswege haben können, sind etwa die Höhe des Raumes und die Durchlüftung. So rät beispielsweise Kähler, es sollte »einerseits die Luftwechselrate in Zeiten der Pandemie deutlich erhöht werden, andererseits sollte bei einer idealen Raumbelüftung die Luft von unten durch den Boden zugeführt und flächig über die Decke abgesaugt werden«.

Im chinesischen Wuhan haben Forscher für eine Studie in Kliniken nach Sars-CoV-2-Erbgut in Aerosolen gesucht. Die Menge sei etwa in belüfteten Patientenzimmern sehr niedrig gewesen, in Toilettenbereichen jedoch höher. An der frischen Luft sei sie nicht nachweisbar gewesen, außer in zwei Bereichen, die zu Überfüllung neigten. Auch Kähler sagt, im Freien bestehe kaum Gefahr. Man atme etwa einen halben Liter Luft aus, der sei schnell verdünnt. Gefährlich werde es, wenn man sich etwa wegen einer Blaskapelle im Hintergrund näher kommt und lauter spricht. Das ist dann aber wieder eine Frage des Abstands.

Wie lange eine potenzielle Gefahr besteht, haben Forscher auch schon untersucht: Ein weiteres Team aus den USA hat mit Laserlicht die Lebensdauer kleiner Tröpfchen in der Luft gemessen, die beim Sprechen entstehen. Demnach verschwinden sie in einer geschlossenen Umgebung bei stehender Luft erst nach 8 bis 14 Minuten. Im Fazit heißt es, »dass es eine erhebliche Wahrscheinlichkeit gibt, dass normales Sprechen in beschränkten Umgebungen eine Übertragung von Viren in der Luft verursacht«. Laut Scheuch, der eine Firma für Bio-Inhalation führt, könnten sich Aerosole in geschlossenen Räumen sogar über Stunden halten und infektiös sein. Ein Atemstoß enthalte 1000 Teilchen. »Draußen ist die Verdünnung stark, innen sammelt es sich.«

Abhilfe soll der Mund-Nase-Schutz schaffen. Allerdings muss man dabei wissen, dass die sogenannten Community-Masken Partikel etwa mit einem Durchmesser bis zu zwei Mikrometern nahezu gar nicht stoppen können, was Kählers Team eindrucksvoll mit Videoaufzeichnungen dargestellt hat. Dennoch hätten die einfachen Masken einen wichtigen Effekt, betont der Professor: »Sie bieten Strömungswiderstand. Anstatt dass man Partikel weit nach außen pustet, halten sie sich nah am Kopf.«

Scheuch geht sogar einen Schritt weiter: Weil das Coronavirus nur rund 0,1 bis 0,14 Mikrometer groß sei, reichten nicht mal die sogenannten FFP-Masken. »Die sind für größere Bakterien. Aber so kleine Teilchen lassen sich schlecht filtern.« Schwebstofffilter seien wohl besser geeignet. Aber auch das sei noch zu erforschen.

Video zu Experiment der Universität der Bundeswehr München

RKI zu Übertragungswegen

Video zu Masken der Universität der Bundeswehr München