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Volkswirte wollen weniger »Gießkanne«

Ukraine-Krise, knappe Energie, Inflation: Für die deutsche Wirtschaft scheint sich etwas zusammenzubrauen. Volkswirte verlangen deshalb. Bedürftige müssen staatlich gestützt werden - und zwar zielgerichtet.

Wochenmarkt
Einkaufen auf einem Wochenmarkt: Die Volkswirte machen Verbrauchern wenig Hoffnung, dass die Preise rasch wieder sinken werden. Foto: Christoph Soeder
Einkaufen auf einem Wochenmarkt: Die Volkswirte machen Verbrauchern wenig Hoffnung, dass die Preise rasch wieder sinken werden.
Foto: Christoph Soeder

Führende deutsche Volkswirte haben die Politik angesichts dunkler Wolken am konjunkturellen Horizont zu einer gezielteren Unterstützung bedürftiger Haushalte aufgefordert. Der Tankrabatt sei gescheitert und schon im Ansatz falsch gewesen.

»Es wurde versucht, fossile Energieträger noch zu vergünstigen - mit mäßigem Erfolg. Man muss das bei denjenigen abfedern, die diese Härten nicht tragen können«, sagte die »Wirtschaftsweise« Veronika Grimm in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur.

Auch Marc Schattenberg, Volkswirt bei Deutsche Bank Research und Katharina Utermöhl von der Allianz-Gruppe forderten einen stärkeren Fokus für staatliche Hilfen. »Die Unterstützung für die bedürftigen Haushalte könnte noch gezielter ausfallen als zuletzt«, sagte Schattenberg.

Insgesamt sei die konjunkturelle Situation schwierig. »Uns muss bewusst sein, dass die Energiepreise hoch bleiben und dass es eine Phase wird, die herausfordernd wird«, sagte Grimm. »Den Menschen zu suggerieren, der Status quo könne erhalten bleiben, ist nicht richtig.« Dies müsse nicht zwangsläufig eine Verschlechterung bedeuten.

»Zahl der Firmenpleiten wird von 2024 an deutlich steigen«

Christoph Siebecke von der Oldenburgischen Landesbank sieht es ähnlich: »Die Firmen schauen derzeit noch in der Mehrheit positiv auf die Wirtschaft. Aber das Momentum geht eindeutig zurück«, sagte er. Er sieht jedoch auch positive Aspekte. »Die Geschwindigkeit, mit der sich die deutsche Wirtschaft anpasst, ist erstaunlich«, sagte er. Die Abhängigkeit von russischem Gas sei bereits spürbar zurückgefahren.

Allianz-Volkswirtin Utermöhl erklärte, auch auf Deutschland komme ein »Comeback der Insolvenzen« zu. »Die Zahl der Firmenpleiten wird von 2024 an deutlich steigen«, sagte sie. »Auch hier erleben wir einen Zeitenwende. Ich habe den Eindruck, wir haben noch gar nicht begriffen, was sich alles ändert.« Auch den Bürgern müsse bewusst sein, dass Energiesparen das Gebot der Stunde sein müsse. Die Senkung des Gasverbrauchs um einen Prozentpunkt bringe eine Bruttowertschöpfung von 2,5 Milliarden Euro und sichere 25 000 Arbeitsplätze, sagte sie.

Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der staatlichen KfW-Gruppe, erklärte, es sei jetzt schon klar, dass mittelfristig weniger Gas zur Verfügung stehen werde - trotz aller Bemühungen. Und es werde teurer sein. Sollten auch die Lohnforderungen der Arbeitnehmer sehr hoch ausfallen und durchgesetzt werden können, drohe eine Lohn-Preis-Spirale - und eine mehrjährige Stagflation in Deutschland.

Befeuert wird diese Gefahr durch die Tendenz vieler Unternehmen, sich über erhöhte Bezahlung Personal auf dem leer gefegten Arbeitsmarkt zu sichern. »Gerade die Tarifbereiche, in denen viele Beschäftigte unter 12 Euro verdienen, haben sich schon im Vorfeld auf Lohnanhebungen geeinigt, das hat man bei den Zeitarbeitsfirmen gesehen, das hat man im Gebäudereinigerhandwerk schon vor einigen Wochen gesehen«, sagte Deutsche-Bank-Volkswirt Schattenberg. Mit seiner Kollegin Grimm ist er sich einig, dass dies geeignet sei, die Inflation weiter zu treiben. »Ich würde nicht sagen, dass wir schon in einer Lohn-Preis-Spirale sind. Aber das Risiko besteht«, sagte die »Wirtschaftsweise«.

© dpa-infocom, dpa:220625-99-795684/2