MÜNCHEN. Fünf Jahre nach Aufdeckung des VW-Dieselskandals hat heute der erste deutsche Strafprozess in dieser Sache begonnen. Der langjährige Audi-Chef Rupert Stadler muss sich ab heute vor dem Landgericht München verantworten, zusammen mit dem früheren Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz und zwei Ingenieuren. Dass der Prozess im Gefängnis München-Stadelheim stattfindet und nicht im Gerichtsgebäude, will die Justiz nicht als böses Omen für die Angeklagten verstanden wissen: Der Verhandlungssaal in Stadelheim ist einfach der größte. Und trotzdem reicht er nicht annähernd aus. 280 Journalisten haben sich akkreditiert, gerade mal 10 Plätze gibt es für sie im Saal - Corona zwinge leider zur »Mangelverwaltung«, sagte der Gerichtssprecher. Über zwei Jahre lang soll der Prozess dauern. Immer dienstags und mittwochs, bis Dezember 2022. Gut 40 000 Seiten umfassen die Ermittlungsakten. Zum Auftakt wollen die Staatsanwälte die 90 Seiten lange Anklage verlesen, fünf bis sechs Stunden lang.
»Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung« lautet ihr Vorwurf. Der Motorenentwickler Giovanni P. ist laut Staatsanwaltschaft weitgehend, sein früherer Mitarbeiter Henning L. uneingeschränkt geständig. Walter Lechner, der Verteidiger von Giovanni P., kündigte ein Statement nach Verlesung der Anklage an: »Unser Mandant wird wie bisher umfassend aussagen.« Er sei kein Entscheidungsträger gewesen, sondern drei Ebenen unter dem Vorstand: »Er hat getan, was von oben abgesegnet und angewiesen wurde.«
Audi-Ingenieure waren ab 2007 auf eine zweifelhafte Idee gekommen, um die Abgastests auszutricksen und dadurch die Grenzwerte einzuhalten. Eine Software drosselt den Stickoxid-Ausstoß, wenn das Auto auf dem Prüfstand steht. Auf der Straße aber überschritten die Abgase den Grenzwert. So reichte ein kleinerer Tank für das AdBlue-Harnstoffgemisch, das die Abgase reinigt, und die Autofahrer mussten das Zeug nicht selbst einfüllen, das konnte bei den jeweils anstehenden Wartungsterminen miterledigt werden. Zwei Forderungen, die die Vertriebsleute und die Chefs gestellt haben sollen. Aufgeflogen ist der Skandal mit den Audi- und später auch VW-Motoren im Herbst 2015 in den USA. Die Wirtschaftsstrafkammer unter dem Vorsitzenden Stefan Weickert muss nun klären, wer was gemacht hat, veranlasst oder gewusst und ignoriert hat.
Stadler war von 2007 an fast zwölf Jahre Audi-Chef - bis 2018, als er kurz nach Einleitung der Ermittlungen gegen ihn in einem abgehörten Telefonat über die Beurlaubung eines Mitarbeiters sprach, wegen Verdunkelungsgefahr vier Monate lang in Untersuchungshaft kam und Audi sich von ihm trennte. Aber eine Mitwisserschaft oder gar Beteiligung an Diesel-Manipulationen bestreitet er weiterhin. Eine Aussage Stadlers wird nicht zu Beginn, sondern im Laufe des Prozesses erwartet.
Die Anklage wirft Hatz, einst Chef der Motorenentwicklung bei Audi, und den beiden Ingenieuren vor, große Dreiliter-Motoren mit der illegalen Abschaltfunktion entwickelt zu haben. Diese Motoren seien dann in gut 434 000 große Fahrzeuge von Audi, Porsche und VW eingebaut und in Europa und den USA verkauft worden. Hatz, der monatelang in Stadelheim in Untersuchungshaft saß, weist die Vorwürfe zurück. »An unserer Linie wird sich nichts ändern. Ich werde ein Opening Statement abgeben«, sagte sein Verteidiger Gerson Trüg.
Die Vorwürfe gegen Stadler sind dagegen weniger schwer. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe spätestens nach der Aufdeckung des Skandals in den USA im September 2015 von den manipulierten Audi-Motoren gewusst, aber den Verkauf trotzdem weiterlaufen lassen.
Den 57-Jährigen erwartet aber ein Spießrutenlauf - als prominentester Angeklagter steht er natürlich im Fokus des öffentlichen Interesses, unzählige Fernsehkameras werden seinen Weg in die JVA Stadelheim verfolgen. Theoretisch drohen den Angeklagten bei einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Gefängnis. In den USA wurden zwei VW-Mitarbeiter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. In Braunschweig hat das Landgericht die Anklage gegen den langjährigen VW-Konzernchef Martin Winterkorn zugelassen. Der war bis 2007 Stadlers Vorgänger als Audi-Chef. Der Prozesstermin für Winterkorn ist noch offen.
Den VW-Konzern hat der Dieselskandal mit elf Millionen manipulierten Autos bisher 32 Milliarden Euro gekostet - für Schadenersatz, Nachrüstungen, Strafzahlungen. Auch für die Angeklagten könnte es noch sehr teuer werden, sollten sie schuldig gesprochen werden: Laut Strafprozessordnung tragen sie dann die Kosten des Verfahrens - samt Gutachter- und Reisekosten etwa für Zeugen aus den USA. Audi dürfte Abfindungen zurückfordern und von den Vorständen Schadenersatz verlangen. (dpa)