BERLIN. Bei der Aufklärung des Wirecard-Skandals sehen Oppositionspolitiker auch nach einer Sondersitzung des Finanzausschusses noch viele Fragen offen.
Der Auftritt von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sei kein »großer Befreiungsschlag« gewesen, sagte die Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus. »Wir stehen immer noch am Anfang der Aufklärung.« Es werde sicher noch weitere Sitzungen geben müssen.
FDP, Linke und Grüne ziehen nach der Sondersitzung weiterhin einen Untersuchungsausschuss in Erwägung. Die Sitzung habe deutlich gemacht, dass es noch viel zu besprechen gebe, sagte der FDP-Abgeordnete Florian Toncar in Berlin. »Das legt nahe, dass wir uns auch mit einem Untersuchungsausschuss noch näher auseinandersetzen müssen.«
Der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hatte im Juni Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Zentrale Fragen sind, wann genau die Regierung von Unregelmäßigkeiten wusste und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat.
Scholz' Argumentation sei nicht schlüssig gewesen, bemängelte Toncar. Man könne nicht einerseits sagen, die Finanzaufsicht habe das Problem ernst genommen, habe dann aber anderthalb Jahre keine Ergebnisse zu Wirecard geliefert. Dem Finanzministerium ist die Finanzaufsicht Bafin unterstellt. Die Opposition erhebt Vorwürfe, die Bafin habe Unregelmäßigkeiten bei Wirecard nicht ausreichend verfolgt. Scholz hatte in seiner Befragung laut Teilnehmern die Schuld vor allem auf Wirtschaftsprüfer geschoben, die Jahresabschlüsse von Wirecard jahrelang nicht beanstandet hätten.
Scholz hatte in der rund vierstündigen Befragung seinen Reformwillen betont. Er drang darauf, dass die Bafin mehr Instrumente brauche, um bei börsennotierten Unternehmen auch gegen deren Willen prüfen zu können. Auch zur Rolle von Wirtschaftsprüfern müsse es Reformen geben.
Paus sagte, Scholz und Altmaier hätten versucht, sich als die großen Aufklärer und Reformer zu inszenieren. »Sobald es aber kritisch wurde, haben sich beide Minister drauf zurückgezogen, dass ihnen gesetzlich die Hände gebunden waren. Auf die Frage, wer die politische Verantwortung habe, gab es nur großes Schweigen.«
Toncar sagte, die FDP biete Linken und Grünen Gespräche über einen Untersuchungsausschuss an. Ein Auftrag für das Gremium ließe sich noch im August formulieren. Etwas zurückhaltender äußerte sich Danyal Bayaz von den Grünen. »Einige Fragen wurden beantwortet, neue sind entstanden«, sagte er zur Anhörung der beiden Minister. Scholz habe den Vorwurf nicht aus der Welt schaffen können, dass das politische Frühwarnsystem nicht funktioniert habe, obwohl es schon lange Warnsignale im Fall Wirecard gegeben habe.
Seine Fraktion habe einen umfangreichen Katalog mit 90 Fragen an das Finanzministerium übermittelt und erwarte Antwort bis zum 10. August. Es gebe noch viele offene Fragen, auch an das Kanzleramt, die in einer weiteren Sondersitzung geklärt werden sollten. Es gehöre zur politischen Kultur in Deutschland, der Regierung Gelegenheit zur Antwort zu geben. Bayaz sagte aber auch: »Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Untersuchungsausschuss kommt, ist wahrscheinlich höher als die, dass er nicht kommt.«
Die wirklich spannenden Fragen seien unbeantwortet geblieben, bilanzierte Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi: »Warum wurde trotz vieler Sonderprüfungen nicht erkannt, dass die Wirecard Bank mithilfe unbesicherter Kreditvergabe aus dem Konzern heraus gesteuert wurde«, fragte der Linken-Politiker. Dies sei eine von mehreren Fragen, auf die der Finanzminister Antworten schuldig geblieben sei. Es brauche daher nun eine vollständige Akteneinsicht. »Der Untersuchungsausschuss ist weiterhin nötig, zumal sich das Kanzleramt weiterhin wegduckt«, betonte De Masi.
Die SPD-Finanzexpertin Cansel Kiziltepe nahm Scholz in Schutz: »Der Finanzminister hat die Karten auf den Tisch gelegt. Die Verantwortlichen haben im Rahmen der geltenden Gesetze ihre Arbeit gemacht.« Vielmehr habe der Wirecard-Skandal Qualitätsprobleme im System der Wirtschaftsprüfung offen gelegt. »Das Wirtschaftsministerium muss diese Mängel in Angriff nehmen. Es kann nicht darauf vertrauen, dass das gegenwärtige System ausreicht.«
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) machte deutlich, er sehe keine Fehler bei der Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer. Altmaier sagte nach der Sondersitzung, die Abschlussprüferaufsichtsstelle habe, soweit er das nachvollziehen könne, sehr früh und zu jedem Zeitpunkt die notwendigen und die richtigen Schritte ergriffen. (dpa)