Der Krieg in der Ukraine und die handelspolitischen Verwerfungen durch die Energiepreis- und Corona-Krise überlagern bei der Hannover Messe die Kernthemen Klimaschutz und Digitalisierung. Heute ist der erste Ausstellungstag der größten Industrieschau.
Zur Eröffnung wurde deutlich: CO2-Reduktion, mehr Energieeffizienz und digitale Produktionstechnik bekommen aktuelle Brisanz - nicht zuletzt wegen der Suche nach alternativen Rohstoffquellen außerhalb Russlands und neuer Debatten über wirtschaftliche Abschottung.
Scholz: Unabhängigkeit »wirtschaftlich vernünftig«
»Eines ist für mich ganz klar: Die Pandemie und der Krieg nehmen der industriellen Transformation nichts von ihrer Dringlichkeit«, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD). »Im Gegenteil. Unabhängig zu werden von fossiler Energie - das ist nicht nur klimapolitisch vernünftig. Das ist angesichts steigender Preise für Gas, Kohle und Öl auch wirtschaftlich vernünftig.« Technologien für eine kohlenstoffärmere Wirtschaft und »intelligente«, energiesparende Fertigungsverfahren gehören zu den Themenschwerpunkten der Ausstellung in diesem Jahr.
Scholz zeigte sich erleichtert, dass die deutsche Industrie hinter den Sanktionen gegen Moskau steht. Die Folgen des Angriffs machten umso deutlicher, dass die wirtschaftliche Transformation und eine Abkehr von fossilen Energieträgern vorangetrieben werden müsse. Dazu seien viele neue Verfahren und Prozesse nötig. »Diese Messe zeigt, dass das geht und dass wir es mit großem Tempo schaffen werden.«
Es bringe jedoch nichts, wenn sich liberale Gesellschaften und Volkswirtschaften in eine Politik der Blockbildung zurückzögen. »Das erleben wir jetzt mit aller Härte: Energieunabhängigkeit ist auch ein Gebot unserer nationalen Sicherheit«, betonte der Kanzler. Aber: »Gleichzeitig ist das, was wir heute erleben, ein Zeichen dafür, dass wir miteinander zusammenarbeiten müssen.« Einen Rückfall ins Nationale hielte er für einen gefährlichen Irrweg.
Habeck: »Landen irgendwann bei Brexit und Donald Trump«
Ähnlich zur Globalisierung äußerte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck: »Halten wir uns an ihr fest, richten wir sie aber neu aus. Wir dürfen nicht einkehren in den Sprech eines neuen Nationalismus. Dann landen wir irgendwann bei Brexit und Donald Trump.«
Die deutsche Industrie forderte vor dem Start der Messe effizientere, schnellere und mehr digitale Verwaltungsvorgänge. »Es gibt viele Länder, die schlechter sind als wir, aber auch Länder, die besser sind«, sagte der Präsident des Branchenverbandes BDI, Siegfried Russwurm. »Seit 15 Jahre rede ich jetzt schon über eine elektronische Gesundheitskarte. Ich komme mir schon vor wie ein Zombie.«
Der BDI hält trotz des Ukraine-Krieges in der deutschen Industrie 2022 ein Exportwachstum von 2,5 Prozent für möglich. Russwurm sagte, die Führung in Moskau trage die Verantwortung für die schwierige weltwirtschaftliche Lage. Er habe über viele Jahre gute Partner in dem Land kennengelernt. Nun sei Russland aber »disqualifiziert über eine Zeit, die wir noch gar nicht absehen können«.
Die Organisatoren erwarten bis einschließlich Donnerstag rund 2500 Aussteller in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Jeder zehnte Teilnehmer befasst sich laut Messechef Jochen Köckler allein mit dem Thema Wasserstoff, der als Energiespeicher und klimaschonender Reaktionspartner in Prozessen beispielsweise der Stahl- und der Chemiebranche großes Potenzial hat.
Partnerland ist in diesem Jahr Portugal. Aus der Ukraine sind nach Angaben von Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) acht Unternehmen dabei, die meisten sind allerdings nur über die digitalen Kanäle zugeschaltet. 2020 hatte die Hannover Messe coronabedingt ausfallen müssen, 2021 hatte es nur eine verkleinerte Version mit Online-Formaten gegeben. Die Ausstellung dauert bis einschließlich Donnerstag.
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