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Lkw-Staus und Frust: Chaos bei britischem Fähranbieter P&O

Auf einen Schlag entlässt der wichtigste britische Fähranbieter P&O seine gesamten Crews. Gewerkschaften und Politik sind empört, die Folgen für Reisende und Transportunternehmen chaotisch.

P&O
Die drei P&O-Fähren »Spirit of Britain«, »Pride of Canterbury« und »Pride of Kent« werden im Kreuzfahrtterminal des Hafens von Dover in Kent festgemacht. Foto: Gareth Fuller
Die drei P&O-Fähren »Spirit of Britain«, »Pride of Canterbury« und »Pride of Kent« werden im Kreuzfahrtterminal des Hafens von Dover in Kent festgemacht.
Foto: Gareth Fuller

Normalerweise befördern sie Touristen und Lastwagen, doch nach der überraschenden Entlassung aller 800 Crew-Mitglieder haben sich auf den Schiffen des Fähranbieters P&O Ferries beispiellose Szenen abgespielt.

Auf manchen Fähren rückten Sicherheitskräfte mit Sturmhauben und Handschellen vor und drohten, widerspenstige Mannschaften abzuführen, wie britische Medien berichteten. In mindestens einem Fall weigerte sich der Kapitän, die Gangway herabzulassen. Tagelang wird keine Fähre mehr fahren - bis die Leiharbeiter, die als Ersatz angestellt wurden, ausgebildet sind.

Die berühmten Kreidefelsen von Dover sind für viele Reisende das erste, das sie von Großbritannien sehen. Nun stauen sich Lastwagen an der malerischen Küstenstrecke, frustrierte Urlauber sitzen fest. Nicht nur Dover ist betroffen, auch die übrigen P&O-Verbindungen von Hull nach Rotterdam, von Liverpool nach Dublin und vom schottischen Cairnryan ins nordirische Larne werden vorerst nicht bedient.

Wichtige Lebensader Fähre

Trotz des Eurotunnels sind Fähren eine wichtige Lebensader der Insel. Vor der Pandemie transportierte P&O jährlich mehr als zehn Millionen Menschen sowie rund 15 Prozent der Frachtgüter in und aus Großbritannien. Prompt warnte der nordirische Wirtschaftsminister Gordon Lyons, mehr als die Hälfte der Frachtlieferungen nach Nordirland laufe über den Hafen Larne. Geschäfte und Unternehmen könnten Nachschubprobleme bekommen. Für die Wirtschaft im Vereinigten Königreich ist es ein kleiner, aber eben noch ein Schlag nach den großen Problemen durch Corona-Pandemie und Brexit.

P&O Ferries, seit 2019 im Besitz des Hafenbetreibers DP World mit Sitz in Dubai, steckt finanziell in der Klemme. Mit dem drastischen Schritt will das Unternehmen sparen. Rund 100 Millionen Pfund (119 Mio. Euro) jährlich hat P&O zuletzt nach eigenen Angaben verloren. Wegen der Corona-Pandemie blieben Urlauber und Fracht lange aus. »Die Änderungen, die wir an unserem Crew-Modell vornehmen, werden unsere Crew-Kosten um 50 Prozent senken«, zitierte der »Daily Mirror« am Freitag aus einem Schreiben von Unternehmenschef Peter Hebblethwaite.

P&O setzt auf günstige Leiharbeiter

Statt der bisherigen Mannschaften sollen günstigere Leiharbeiter die Schiffe steuern und Reisende an Bord bedienen. Parlamentsabgeordnete der betroffenen Städte teilten mit, die Neuen hätten schon bereit gestanden, als die Fähren am Donnerstag überraschend in die Häfen beordert wurden. Der Schifffahrtsverband UK Chamber of Shipping zeigte sich zuversichtlich, dass die Ersatzkräfte die Arbeit problemlos bewältigen können. Doch Gewerkschaften warnen, die neuen Crews hätten keine Erfahrung mit den Fähren und den Routen. Der Generalsekretär von Nautilus International, Mark Dickinson, sagte der BBC, Schiffe durch den Ärmelkanal zu steuern, sei »wie eine sechsspurige Autobahn zur Rushhour zu überqueren«.

Nautilus kündigte eine Klage gegen das Vorgehen an. »Dies ist eindeutig illegal«, sagte Dickinson. Auch die Gewerkschaft RMT will gegen »eine der schändlichsten Taten der Geschichte« der britischen Sozialpartnerschaften klagen. Wie die BBC berichtete, informierte die Unternehmensleitung ihre Beschäftigten nur über eine Videobotschaft. Die Crew-Mitglieder mussten umgehend ihre Sachen packen. Einige protestierten in Dover, am Freitag sollte es auch an anderen Häfen Demonstrationen geben.

»Unsensibel« und »brutal«

Auch die Regierung zeigte sich empört. Verkehrsminister Grant Shapps sprach von einer »unsensiblen und brutalen Entscheidung« und erinnerte gekränkt daran, dass P&O Kurzarbeitergeld erhalten habe. Die Regierung kündigte an, ihre Verträge mit dem Unternehmen zu überprüfen. Doch sie musste auch einräumen, dass ihr die Hände gebunden seien. Es gehe nun darum, die zu unterstützen, die ihre Jobs verloren haben.

Aus der coronageplagten Branche kam hingegen Verständnis. »Sie haben wegen der Pandemie 100 Millionen Pfund im Jahr verloren, wegen eines Ereignisses, das sie nicht kontrollieren konnten«, sagte Peter Aylott vom Schifffahrtsverband dem Sender BBC Radio 4. »Natürlich mussten sie etwas tun.« Mit der Entscheidung seien zudem die übrigen 2200 Arbeitsplätze gesichert worden. P&O betonte, die neuen Crews würden nun den Vorgaben gemäß geschult. Wann sie einsatzbereit sind, war am Freitagmittag noch unklar. Reisende sollten solange zu anderen Fähranbietern wechseln, teilte P&O mit.

© dpa-infocom, dpa:220318-99-576034/4