Angesichts der Personalengpässe an deutschen Flughäfen und der Folgen für den Flugverkehr in diesem Sommer wächst die Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung. Das Abfertigungschaos habe sich schon lange abgezeichnet, sagte die tourismuspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Anja Karliczek (CDU) am Freitag. Die Ministerien hätten zu lang weggeschaut und sogar Warnungen von Gewerkschaften und der Reisebranche ignoriert.
»Warum brauchen dann die Bundesregierung und die beteiligten Ministerien über fünf Wochen, um die Genehmigung für das Anwerben der 2000 Mitarbeiter aus der Türkei auf den Weg zu bringen?«
Am Donnerstag war jene Erlaubnis der Regierung ergangen, mit der nun vor allem die Bodendienstleister auf dem Vorfeld Aushilfskräfte aus Drittstaaten, überwiegend aus der Türkei, rekrutieren können. Für die neuen Mitarbeiter stehe nun noch eine Zuverlässigkeitsprüfung an, die einige Wochen dauere, sagte am Freitag der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Matthias von Randow.
Maßnahme hilft nur bedingt
Die derzeit auf drei Monate befristete Genehmigung helfe vielen Unternehmen deshalb nur bedingt weiter, verdeutlichte der BDL-Chef. Die Bodendienstleiter hätten aufgrund der langen Vorlaufzeit den Bedarf bereits nach unten angepasst, so dass voraussichtlich weniger als die ursprünglich 2000 geplanten Aushilfen gebraucht würden. Am Tag zuvor hatte bereits der Arbeitgeberverband der Bodenabfertigungsdienstleister im Luftverkehr (ABL) mitgeteilt, dass die Unternehmen weniger als 1000 Helfer angefordert hätten.
»Man hat die Situation schlicht verschlafen, und jetzt ist es einfach zu spät, um kurzfristig für Entspannung zu sorgen«, sagte auch der Luftverkehrsexperte der Gewerkschaft Verdi, Özay Tarim, dem »Handelsblatt«. Entspannung für die Reisenden sei daher nicht in Sicht. »Es ist sogar noch schlimmer gekommen, als wir vermutet haben.«
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) wies die Kritik zurück. »Die Regierung hat die Wünsche der Wirtschaft binnen Tagen erfüllt«, sagte er der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. »Jetzt sind die Unternehmen am Zug. Sie müssen die verfügbaren ausländischen Arbeitskräfte so schnell wie möglich einstellen.« Der Staat könne niemanden zwingen, eine bestimmte Arbeit aufzunehmen.
Dabei wird die Anwerbung der Aushilfskräfte in der Bevölkerung durchaus kritisch gesehen. Das zeigen die Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur.
Danach hält es nur etwa jeder dritte Bundesbürger (33 Prozent) für eine gute Idee, ausländische Arbeitskräfte ins Land zu holen, um das Chaos bei der Abfertigung der Passagiere in den Griff zu bekommen. 40 Prozent der Teilnehmer der repräsentativen Umfrage positionierten sich gegen die geplante Sonderregelung. Jeder fünfte Befragte antwortete mit »weder noch«. Sieben Prozent der erwachsenen Deutschen haben zu dem Thema keine Meinung.
Auf Prüfung verzichtet
Nach Verhandlungen mit der Bundesregierung wird auf eine Prüfung verzichtet, ob für die Jobs nicht doch deutsche Arbeitnehmer zur Verfügung stünden. Bestehen bleiben die Sicherheitsprüfungen durch die Länderbehörden. In der Bundesregierung gibt es Überlegungen, eine vergleichbare Arbeitsmigration auch für andere Branchen mit akutem Arbeitskräftemangel zu ermöglichen - etwa für die Gastronomie.
BDL-Hauptgeschäftsführer von Randow richtete am Freitag den Blick auf langfristige Lösungen - bei der Rekrutierung von Arbeitskräften, aber auch bei der Technik sowie bei behördlichen Prüfungen. »Wir brauchen in Deutschland ein Einwanderungs-Erleichterungsgesetz«, sagte er. Von Randow forderte zudem eine schnellere Bearbeitung bei der behördlichen Zuverlässigkeitsprüfung, der sich alle neuen Beschäftigten unterziehen müssen.
Außerdem werde langfristig auch die Digitalisierung dazu beitragen, dass Abläufe für Passagiere am Flughafen unkomplizierter werden. »Wir wollen perspektivisch Passagierprozesse an Flughafenstandorten mit Biometrisierung und Digitalisierung deutlich vereinfachen.« Kurzfristige Abhilfe für die Reisenden ist damit allerdings nicht in Sicht.
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