Nach einem erneuten Sprung der Inflation über die Marke von fünf Prozent müssen sich die Menschen in Deutschland wegen des Krieges in der Ukraine auf weiter steigende Verbraucherpreise einstellen.
Im Februar lag die Teuerungsrate angeheizt von hohen Energiepreisen nach einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes bei 5,1 Prozent. Ökonomen rechnen mit einem weiteren Anstieg in den kommenden Monaten, manche halten Teuerungsraten in Richtung sechs Prozent für möglich.
Geschwächte Kaufkraft
Im Januar 2022 waren die Verbraucherpreise um 4,9 Prozent über den Stand des Vorjahresmonats gestiegen. Im Dezember 2021 lag die jährliche Inflationsrate bei 5,3 Prozent.
Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, sie können sich für einen Euro dann weniger kaufen als zuvor. Zugleich nagt eine höhere Teuerungsrate am Ersparten.
Haushaltsenergie und Sprit verteuerten sich innerhalb eines Jahres bis Februar um 22,5 Prozent. Die Energiepreise seien bereits vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine aus Sorge vor einer Eskalation des Konflikts gestiegen, erläuterte Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung.
Nach Angaben des Automobilclubs ADAC war der Besuch an der Tankstelle Ende Februar so teuer wie nie zuvor. Für einen Liter Super E10 mussten Autofahrer demnach am Montag 1,816 Euro bezahlen. Ein Liter Diesel kostete im Tagesdurchschnitt 1,737 Euro. Seit Beginn des russischen Angriffs am vergangenen Donnerstag sind es sechs bis sieben Cent mehr.
»Durch den russischen Überfall auf die Ukraine hat sich die Hoffnung auf einen deutlichen Rückgang der Inflation im Jahresverlauf weiter verschlechtert«, sagte ZEW-Experte Friedrich Heinemann. »Der durch den Krieg ausgelöste Preisschub für Energie, Rohstoffe und Getreide wird die ohnehin immer noch hohe Preisdynamik weiter anheizen.«
Verbraucher und Verbraucherinnen bekommen steigende Rohstoffpreise nicht nur beim Tanken oder Heizen zu spüren, sondern zunehmend auch bei anderen Produkten, weil Hersteller höhere Einkaufspreise in der Regel ganz oder teilweise weitergeben.
Materialmangel und Lieferengpässe
Der Einzelhandel hält höhere Preise an den Ladenkassen daher für möglich. Ein beschleunigter Anstieg der Energiepreise »würde die Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette über Landwirtschaft, produzierendes Gewerbe bis hin zum Handel treffen und letztlich auch auf höhere Verbraucherpreise durchschlagen«, teilte der Handelsverband Deutschland mit.
Hinzu kommen anhaltender Materialmangel und Lieferengpässe. »Das Angebot kann in vielen Bereichen mit der Nachfrage nicht Schritt halten, die knappen Güter werden also teurer«, erläuterte Jörg Zeuner, Chefvolkswirt des Fondsanbieters Union Investment. Im März und April seien auch Teuerungsraten Richtung sechs Prozent denkbar.
Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer dürfte die Inflationsrate in Europas größter Volkswirtschaft im März die Marke von 5,5 Prozent klar überspringen, sollten die wegen des Ukraine-Kriegs gestiegenen Energiepreise auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben.
Die zunächst im Zuge der weltweiten Konjunkturerholung gestiegenen Energiepreise treiben bereits seit Monaten die Inflation in Europa an. Als Reaktion darauf hat die Regierungskoalition ein Entlastungspaket beschlossen. So sollen Bürgerinnen und Bürger von Juli an die Ökostrom-Umlage nicht mehr zahlen. Für Pendler ist ab dem 21. Kilometer eine höhere Pauschale von 38 Cent rückwirkend zum Jahresbeginn vorgesehen. Ob die Maßnahmen ausreichen, ist umstritten.
Einsatz nationaler Ölreserven?
Zugleich prüfen die EU und USA als Reaktion auf den Ukraine-Krieg und steigende Preise nach den Worten von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den Einsatz nationaler Ölreserven. »Wir überlegen, die nationalen Ölreserven in einer konzertierten Aktion zusammen mit den Amerikanern so einzusetzen, dass die Preise gedämpft werden, wenn sie weiter hochgehen«, sagte der Grünen-Politiker am Montagabend.
Die Inflation ist ein wichtiger Gradmesser für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Notenbank strebt eine jährliche Teuerungsrate von 2 Prozent im Euroraum an und ist zumindest zeitweise bereit, ein moderates Über- oder Unterschreiten zu akzeptieren. Im Februar lag der für die EZB-Geldpolitik maßgebliche harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) in Deutschland um 5,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.
Auch unter Europas Währungshütern herrscht inzwischen Einigkeit, dass man die hartnäckig hohe Inflation nicht aussitzen kann. Mit einer Anhebung der Zinsen könnte die Europäische Zentralbank (EZB) gegensteuern. Allerdings erschwert der Krieg in der Ukraine der Notenbank die Entscheidung über den weiteren Kurs, der auf der nächsten geldpolitischen Sitzung am 10. März festgelegt werden soll.
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