Berlin/Tunis (dpa) - Zum Start des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sind Fachleute vorsichtig optimistisch. »Schon der Name ist ein deutliches Signal, dass wir uns für Fachkräfte aus dem Ausland öffnen«, sagte OECD-Migrationsexperte Thomas Liebig der Deutschen Presse-Agentur.
Er merkte aber auch an: »Es wäre wichtiger, auf Anpassungsfähigkeit und hohe Motivation von Einwandern zu achten als auf formale Qualifikationen.« Das sei auch deshalb wichtig, weil der technologische Wandel die Arbeitswelt in Deutschland so stark verändern werde wie in kaum einem anderen Land. Das neue Gesetz tritt an diesem Sonntag (1. März) in Kraft.
Bislang können nur Uni-Absolventen aus Nicht-EU-Staaten ohne Arbeitsplatzangebot in Deutschland nach Jobs suchen. Von März an können auch Fachkräfte zur Arbeitsplatzsuche kommen, wenn sie Deutsch sprechen und ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Vorrangprüfung, bei der geprüft wird, ob nicht auch ein inländischer Bewerber zur Verfügung steht, soll für qualifizierte Ausländer mit Arbeitsvertrag entfallen. Visa sollen schneller vergeben werden. Für EU-Bürger gilt weiterhin Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Ob das alles den erhofften Erfolg bringt, muss nach Einschätzung von Beobachtern die Praxis zeigen. »Entscheidend ist jetzt, dass das Gesetz bürokratiearm und mittelstandsfreundlich umgesetzt wird«, heißt es vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). »Schon jetzt beobachten wir eine rasant steigende Zahl von Anfragen.« Häufig gehe es dabei um Situationen, in denen Handwerksbetriebe schon ausländische Fachkräfte kennen und diese möglichst schnell ins Land holen wollten.
Die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), Petra Bendel, betonte: »Wichtig sind gute Sprachkurse, schnelle Visa und dass im Ausland erworbene Qualifikationen zügig anerkannt werden. Erst dann wird das Gesetz wirken.«
Umstritten ist, wie sich die Pflicht zum Nachweis vergleichbarer Qualifikationen auswirken wird. »Im Ausland erworbene Qualifikationen lassen sich oft nicht mit deutschen Berufsabschlüssen vergleichen«, sagte Bendel. Deshalb sei es gut, dass die Bundesregierung die Möglichkeiten zur Nachqualifizierung in Deutschland stark ausgebaut habe. Marius Clemens vom Institut der Deutschen Wirtschaft (DIW) ist da skeptischer: »Durch das spezielle Ausbildungssystem Deutschlands ist eine eindeutige Nachweisregelung nur schwer möglich.« Sein Fazit: »Auch wenn das Einwanderungsgesetz der erste Schritt in die richtige Richtung ist, wird es wohl in der aktuellen Form nur einen kleinen Beitrag zur Lösung des Fachkräfteproblems leisten können.«
OECD-Experte Liebig wünscht sich mehr Flexibilität. »Im deutschen System kann man nicht Schwächen in einem Bereich - etwa den Mangel an formal anerkannten Qualifikationen - zum Beispiel durch gute Sprachkenntnisse ausgleichen.« Dabei seien gerade Sprachkenntnisse eine gute Messlatte für Motivation.
Der Spracherwerb schon im Herkunftsland spielt schon heute eine große Rolle bei Programmen, die die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit für Fachkräfte durchführt. Seit sieben Jahren gibt es sie unter anderem für den Pflegebereich, wo nach Einschätzung von Experten bis 2025 rund 150.000 zusätzliche Kräfte benötigt werden.
Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Bosnien und Herzegowina, Serbien, den Philippinen und Tunesien, von wo in den vergangen Jahren nach Angaben der Arbeitsagentur 2220 Menschen nach Deutschland kamen, um in Pflegeberufen zu arbeiten. Mehr als 1000 weitere Personen befänden sich derzeit noch in der Vorbereitung.
Aber auch für die Gastronomie und die Baubranche laufen Pilotprojekte - vor allem in Nordafrika. In Kooperation mit dem Goethe-Institut in Marokko werden derzeit 100 Marokkaner für eine Ausbildung in Deutschland sprachlich und kulturell fortgebildet. In sechs Monaten sollen die jungen Menschen fit für den deutschen Arbeitsmarkt sein.
Das Programm ist fordernd: »Was sich die Leute mit diesem intensiven Programm antun, ist enorm«, sagte Institutsleiterin Susanne Baumgart. »Sie machen das nur, weil es hier in Marokko wirklich wenig Chancen für sie gibt.« Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko hoch. Viele junge Menschen studieren, finden anschließend aber keine passende Stelle.
Neben der wichtigen sprachlichen Ausbildung gehe es vor allem auch darum, ein realistisches Bild von Deutschland und der Arbeit in der Gastronomie und dem Baugewerbe zu zeichnen. »Für manche ist das ein Traum, der zum Alptraum wird, wenn sie sich dann irgendwo alleine in der bayerischen Provinz wiederfinden«, sagte Baumgart. Immerhin: Von den mehr als 100 Teilnehmern aus einer ersten Pilotphase, die 2017 begonnen hatte, sind nach GIZ-Angaben noch drei Viertel in Ausbildung und legen bald ihre Abschlussprüfungen ab.