In dem milliardenschweren »Cum-Ex«-Steuerskandal hat sich der bekannteste Protagonist der Aktiendeals, Hanno Berger, in einem Strafverfahren über die Haftbedingungen beschwert.
Vor dem Bonner Landgericht sagte der 71-Jährige am Donnerstag, es sei »nicht unbedingt menschenwürdig, wenn man in einem Raum untergebracht ist, der weitgehend verpilzt, verdreckt ist«. Er bekomme »morgens und abends ein ungetoastetes Toastbrot mit einer Scheiblette« und kein richtiges Mittagessen - nur »Wassersuppe« und »gestern Reis, zusammengebappt mit etwas Soße drauf«. Er wolle sich vor Gericht gegen die Vorwürfe verteidigen, aber ihm schwänden die Kräfte.
»Ich bin einiges gewohnt und bin auch kein Querulant, ich beschwere mich selten«, sagte Berger. Er wolle in der Haft nicht besser behandelt werden als andere. »Ich möchte gleichbehandelt werden, ich möchte keine Sonderbratwürste haben.«
Bergers Anwalt Richard Beyer sagte, die psychosoziale Situation seines Mandanten sei »äußerst kritisch«. Dass Berger in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf gesagt worden sei, er dürfe jeden Monat nur zwei Mal 20 Minuten mit seiner Familie telefonieren, sei bedenklich. Der Vorsitzende Richter Roland Zickler hörte zu und sagte, es solle hier »fair und menschenwürdig« zugehen. »Ich werde mich kümmern - kümmern heißt nicht, dass ich eine Lösung präsentieren kann«, so der Richter.
»Mastermind« der Deals
Berger gilt als Architekt und »Mastermind« der »Cum-Ex«-Deals, deren Hochphase 2006 begann und 2012 mit einer Gesetzesänderung endete. Banken, Händler und Investoren schoben Aktien mit (»cum«) und ohne (»ex«) Ausschüttungsanspruch hin und her. Es war ein Verwirrspiel rund um den Dividendenstichtag, bei dem der Fiskus den Überblick verlor und Kapitalertragssteuern erstattete, die gar nicht gezahlt worden war. Der deutsche Fiskus büßte unterschiedlichen Schätzungen zufolge einen zweistelligen Milliardenbetrag ein.
Im Bonner Verfahren werden Berger drei Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung vorgeworfen. Er soll unter anderem die Hamburger Privatbank M.M. Warburg zur Aufnahme von »Cum-Ex«-Geschäften bewogen und maßgeblich geholfen haben, die nötigen Strukturen einzurichten. Dem Fiskus soll damit ein Schaden von 278 Millionen Euro entstanden sein (Aktenzeichen 62 KLs 2/20).
Nach dem Prozessauftakt am Montag folgte am Donnerstag der zweite Verhandlungstag. Die Verteidigung meldete sich erneut nicht zu Wort, um auf die Anklagevorwürfe zu antworten und ihre Sicht der Dinge zu schildern. Seine Einlassung werde später kommen, sagte Berger.
Beim Prozessauftakt hatte er zwei Pflichtverteidiger an seiner Seite, am Donnerstag kam mit dem Münchner Anwalt Beyer ein Wahl-Verteidiger hinzu. Der hatte Schwierigkeiten, seinen Mandanten ruhig zu halten. Berger meldete sich aber immer wieder zu Wort. Schließlich wurde es dem Anwalt zu viel und er bat energisch um eine Pause, um allein mit seinem Mandanten sprechen zu können. Der Richter willigte ein.
Was die Banken beantragten, wurde bezahlt
Als Zeugen geladen waren zwei Mitarbeiter der Bonner Bundeszentrale für Steuern, die für Steuererstattungen zuständig war. Die Aussage der Zeugen machten klar, dass die Erstattungen in sogenannten Sammelverfahren automatisiert erfolgten und dass das Amt keine Überprüfung der Anspruchsberechtigung vornahm - was die Banken beantragt hatten, wurde gezahlt. Schriftlich hatten die Banken vorher garantiert, dass die beantragte Steuererstattung rechtmäßig sei. Diese schriftliche Erklärung reichte aus - danach war »die Kasse geöffnet«, wie der Richter bemerkte. Man müsse sich nun mal verlassen können auf die Banken, sagte einer der Zeugen.
Habe in der Steuerzentrale denn niemand gesessen und angesichts der Millionen-Euro-Erstattungsbeträge gesagt, »Ups, das ist aber viel«, fragte der Richter. »Es gab kein nachgelagertes Prüfverfahren«, sagte der andere Zeuge - das Erstattungssystem habe große Beträge verarbeiten müssen und es sei »effizient« gewesen.
Die Zeugenaussagen verdeutlichten, dass ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums von Mai 2009, in dem auf das Problem doppelter Steuererstattungen hingewiesen wurde, in der Behörde zu keiner anderen Arbeitsweise führte. Sei das Schreiben intern näher erläutert worden, fragte der Richter, ob mit Handreichungen oder Fortbildungen? »Zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht«, sagte einer der Zeugen, ein damaliger Referatsleiter der Bundeszentrale für Steuern.
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