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Aus der City nach jwd: Wohnkosten drängen Menschen aufs Land

Kaufpreise, Mieten, alles steigt - hört das denn nie auf? Viele Großstädter sind es leid oder können nicht mehr mithalten. Sie ziehen raus. Doch auch der Speckgürtel ist oft teuer. Günstig ist woanders.

Berlin
Stadtbild von Berlin. Nach einem Jahrzehnt Immobilienboom ist Wohnen in großen Städten für viele Menschen kaum noch zu bezahlen. Foto: Paul Zinken/dpa
Stadtbild von Berlin. Nach einem Jahrzehnt Immobilienboom ist Wohnen in großen Städten für viele Menschen kaum noch zu bezahlen. Foto: Paul Zinken/dpa

Berlin (dpa) - Sanierter Altbau, drei Zimmer, Küche, Bad für unter 700 Euro warm. Mit Terrasse und Stellplatz. Und See und Kita um die Ecke. Bei solchen Inseraten reibt sich mancher Großstädter die Augen.

»Klingt utopisch, ist aber so. Knapp eine Stunde von Berlin«, plakatierte die Stadt Neustrelitz kürzlich in der Hauptstadt. Nicht nur in Berlin, bundesweit ziehen wegen explodierender Wohnkosten immer mehr Menschen aus den Großstädten ins Umland, wie Experten beobachten. Hamburger finden sich Lüneburg oder Kaltenkirchen wieder, Münchner in Erding oder Dachau.

Nach einem Jahrzehnt Immobilienboom ist Wohnen in großen Städten für viele Menschen kaum noch zu bezahlen. Was man von München kannte - eine Zulage für die Beschäftigten der Stadt - gibt es künftig auch in Berlin: Damit Feuerwehrleute und Krankenschwestern sich die Stadt noch leisten können.

Denn die Preise für Wohnungen und Häuser steigen in den Städten weiter, und damit die Mieten. »Es sind keine Anzeichen für eine Trendumkehr zu erkennen«, sagte Anja Diers, die Vorsitzende des Arbeitskreises der deutschen Gutachterausschüsse bei der Vorstellung des »Immobilienmarktberichts 2019«. Er beruht auf jährlich knapp einer Millionen Kaufverträgen und bildet das Marktgeschehen damit sehr präzise ab.

Demnach hat sich der Umsatz mit Wohnungen, Häusern, Grundstücken und Agrarflächen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt und erreichte 2018 den Höchststand von 269 Milliarden Euro. Davon entfielen 180,5 Milliarden Euro auf Wohnimmobilien. »Insbesondere in ohnehin teuren Lagen steigen die Preise weiter stark an«, erklärte Diers. Seit einigen Jahren legen auch die Preise für Wohnungen in einfachen Lagen leicht zu.

Die Spreizung aber ist groß: Im Landkreis München wurden für Eigenheime im vergangenen Jahr im Schnitt 10.200 Euro je Quadratmeter bezahlt - der Bundesdurchschnitt lag bei 1750 Euro. Am günstigsten waren Häuser im Kyffhäuserkreis in Thüringen (410 Euro je Quadratmeter). Ähnlich ist es bei Baugrundstücken, wie Diers erläuterte: »Für die Investition in einen Bauplatz in München bekommen sie in Sonnenberg 133 Bauplätze und somit den Grund für ein ganzes Dorf.«

In Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen stehe mehr als jede zehnte Wohnung leer, sagte Markus Eltges, Leiter des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Die Großstädte platzten derweil aus den Nähten. Dorthin seien seit 2011 fast 2,4 Millionen Menschen gezogen. Längst wüchsen auch kleinere Städte wie Flensburg, Landshut und Greifswald.

»Die Lösung dieser Engpässe liegt in der Region«, sagte Eltges. Das denken sich auch immer mehr mietgeplagte Großstädter. Viele suchen vor den Städten. So zogen 2018 knapp 16.000 Hauptstädter mehr nach Brandenburg als Menschen aus dem Nachbarland nach Berlin kamen. Seit 2010 hat sich die Zahl verdreifacht.

Vor allem Familien zögen raus, erklärt das Statistikamt der beiden Länder. Nach Daten des Verbands Berlin-Brandenburger Wohnungsunternehmen 2018 stiegen die Mieten im 20 bis 30 Kilometer breiten Speckgürtel stärker als in der Hauptstadt selbst.

Dabei lockt längst nicht mehr das nahe Umland. »15 Jahre lang verlor der berlinferne Raum Einwohner an die Metropole an der Spree«, bilanzieren die Statistiker. »2014 verkehrte sich das Verhältnis jedoch.« Nach jwd - janz weit draußen - ziehen so viele Hauptstädter wie nie seit der Wiedervereinigung.

Mit dem geplanten Berliner Mietendeckel dürfte der Trend zunehmen, erwarten Marktbeobachter wie das Gewos Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung. Schon jetzt sind Straßen und Bahnen am Stadtrand überlastet, haben die Menschen auch dort Probleme, Schul- und Kita-Plätze zu finden. »Die Vernetzung von Stadt und Umland ist ein Schlüssel zum Erfolg«, meint Eltges.

Auch ins 100 Kilometer entfernte Neustrelitz sind schon Berliner gefahren, um sich Wohnungen anzusehen, heißt es bei der städtischen Wohnungsgesellschaft Neuwo. Sie war es, die mit Plakaten in Berlin geworben hatte. Einen Mietvertrag habe aber keiner der Interessenten unterschrieben. Die Neustrelitzer geben die Hoffnung nicht auf. Denn seit Sonntag hält dort auch ein Intercity nach Berlin.