Berlin (dpa) - Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) rechnet für 2020 mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland von 0,5 Prozent. Das sei "keine Positivnachricht", sagte BDI-Präsident Dieter Kempf am Donnerstag in Berlin, "sondern eine Warnung. Ein Großteil des geschätzten Wachstums - rund 80 Prozent - ergebe sich lediglich aus der vergleichsweise hohen Zahl an Arbeitstagen in diesem Jahr. Vor allem für die Industrie sei die Lage schwierig. "Wir stecken in einer Rezession", sagte Kempf. Die Unternehmen hätten seit mehr als einem Jahr mit Arbeitsplatzabbau und einer sinkenden Produktion zu kämpfen.
Auch der Blick über die Landesgrenzen mache wenig Hoffnung auf Entspannung. »Das neue Jahr hat mit einigen Paukenschlägen begonnen«, sagte Kempf. Die Eskalation im Nahen Osten zwischen der USA und dem Iran habe den Ölpreis steigen lassen. Das »vergrößert die Sorge vor einer weiter schwächelnden Konjunktur«. Auch die vorliegende Einigung zwischen den USA und China im Handelsstreit liefere »nur eine Atempause«, kein Ende des Konflikts. Diese internationalen Auseinandersetzungen bedrohten den Welthandel »und damit unvermindert die Weltwirtschaft insgesamt«.
Angesichts dieser globalpolitischen Herausforderungen befinde sich Deutschland in einer entscheidenden Phase, sagte Kempf. Allerdings habe er das Gefühl, »als habe sich die Politik behaglich eingerichtet in einem Aufschwung, der nun ins elfte Jahr geht«.
Kempf kritisierte eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Wirtschaftsstandort mit Blick auf Energiekosten und der Steuerlast. Er forderte, diese für Unternehmen auf 25 Prozent herabzusetzen. Zudem warf er der Bundesregierung eine kurzfristige Klimapolitik vor.
Besonders kritisierte Kempf den von Bund und Ländern in der Nacht zum Donnerstag beschlossenen Fahrplan zum Kohleausstieg. Dieser Kompromiss ist »aus unserer Sicht alles andere als zu loben«, sagte er. Zwei Vorschläge, die die Kohlekommission gemacht habe, seien »über die Tischkante gefallen«.
Kempf kritisierte zum einen das Fehlen von Ausgleichszahlungen für steigende Netzentgelte bei Verbrauchern und Unternehmen in Höhe von jährlich zwei Milliarden Euro. Diesen Ausgleich hatte die Kohlekommission in ihrem Bericht ab 2023 als erforderlich bewertet, um die Betroffenen vom Strompreisanstieg zu entlasten.
Bund und Länder verweisen in ihrem Papier hingegen auf das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung, in dem eine Senkung der Stromkosten durch eine geringere EEG-Umlage bereits beschlossen worden sei. Zudem sehe das neue Gesetz die Möglichkeit vor, stromkostenintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, ab dem Jahr 2023 mit einem »jährlichen angemessenen Zuschuss« zu entlasten.
Kempf kritisierte darüber hinaus, dass der Ausstiegsprozess lediglich zweimal - in den Jahren 2026 und 2030 - überprüft werden soll. Die Kohlekommission hatte eine weitere Überprüfung bereits im Jahr 2023 gefordert.
Auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, forderte am Donnerstag, dass der Ausstieg aus der Kohleverstromung »entsprechend den Empfehlungen der Kommission eng überwacht werden« müsse. »Dringlich ist daher, dass wir die Flaute beim Windausbau beenden und auch beim Netzausbau schneller vorankommen.«
Kempf rief die Bundesregierung auf, ein auf zehn Jahre angelegtes Investitionsprogramm aufzulegen. »Der Investitionsstandort Deutschland steckt in der Klemme, wegen des fehlenden Einsatzes von Mitteln - und aufgrund ausufernder Bürokratie«, sagte er.
Am Vortag hatte das Statistische Bundesamt mitgeteilt, dass das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im vergangenen Jahr zwar erneut gestiegen war. Allerdings lag das Wachstum mit 0,6 Prozent deutlich unter den Raten des Vorjahres. Besonders die exportorientierte deutsche Industrie hat angesichts der Handelsstreitigkeiten und dem Brexit-Drama ein hartes Jahr hinter sich.