Frankfurt/Main (dpa) - Die Klimaschutz-Diskussion und die gefeierte sowie gehasste Aktivistin Greta Thunberg werden nach Ansicht des Zukunftsforschers Matthias Horx die Topthemen im Jahr 2020 und im kommenden Jahrzehnt bleiben.
»Das Auftauchen und die unglaubliche Wirkung von Greta Thunberg signalisiert, dass wir vor einem «Tipping Point», einem Kipppunkt, stehen«, sagte Matthias Horx der Deutschen Presse-Agentur. »Solche charismatischen Symbol-Personen treten immer dann auf die Bühne der Zeitgeschichte, wenn ein starker Werte- und Bedeutungswandel ansteht.«
Als Beispiele nennt Horx Jeanne d’Arc, Gandhi oder John F. Kennedy. »Je mehr diese Symbolfiguren bekämpft und gehasst werden, desto stärker wird der Wandel«, sagte der Soziologe und Leiter des Zukunftsinstituts in Frankfurt am Main voraus.
Derzeit befinde sich die Debatte um den Klimawandel noch in einer »Phase des Schuldgeschreis, der Leugnung, einer Art apokalyptischen Populismus«, so Horx. Die Medien seien voll von Meinungen, die behaupteten: »Der Klimawandel lässt sich nicht mehr verhindern, alles zu spät und die Menschheit ist dem Untergang geweiht.« In der Psychologie sei dann die Rede von einer »Akzeptanzschwelle«, die erst einmal überschritten werden müsse, damit sich Wandel vollziehen könne. »Die 2020er Jahre werden letztlich das Jahrzehnt der globalen ökologischen Wende, des Durchbruchs neuer postfossiler Technologien und neuer gesellschaftlicher Reaktionen.«
Horx nennt diese Entwicklung in seinem Zukunftsreport 2020 die »Blaue Revolution« oder auch »Blaue Wende« - in Abgrenzung zum »Grünen Denken«. »Das Grüne Denken läuft eher auf Verzicht, Einschränkung, Reduktion und damit ewige Verteilungs- und Berechtigungskonflikte hinaus. Wir haben heute im Grunde alle Technologie, die wir für eine Dekarbonisierung brauchen, wir müssen sie nur intelligent zusammenfügen. Das wird passieren, allem Gezeter und allem Pessimismus zum Trotz.«
Mit der Dekarbonisierung ist die Umstellung auf eine Wirtschaftsweise gemeint, die den Ausstoß von Kohlendioxid nachhaltig reduziert. Langfristiges Ziel ist die Schaffung einer CO2-freien Weltwirtschaft, das heißt: die Erzeugung und Nutzung von Energie so zu organisieren, dass dabei kein CO2 in die Atmosphäre gelangt.
Zu konkreten Maßnahmen im Klimaschutz sagte der Trend- und Zukunftsforscher: »Wir bekommen in den nächsten Jahren einen massiven Boom der Elektromobilität, die Anzahl der Elektroautos wird sich jedes Jahr verdoppeln. Dazu wird die «Kopenhagenisierung» Fahrt aufnehmen, die Verdrängung der Autos aus den Innenstädten, so wie es die skandinavischen Länder bereits praktizieren.«
In Deutschland seien immer noch die meisten Menschen gegen einen Fokus auf andere Verkehrsmittel als dem Auto. »Aber wenn es dann in die Realität umgesetzt ist, sehen alle die Vorteile und sind dafür. Ähnlich wird das mit Tempo 130 auf den Autobahnen gehen. Das kann allerdings - bei den fanatischen Benzinautofreaks in Deutschland - noch bis 2030 dauern.«
Horx spricht auch von einem »Big Business Change«, einem Unternehmenswandel, der in den nächsten Jahren Unternehmenskulturen und Geschäftsmodelle in vielen Branchen und Konzernen verändern werde. »Ein immer größerer Teil der Unternehmen setzt sich inzwischen intensiv mit dem Klimawandel auseinander und versucht, Innovationen im Bereich nachhaltiger Materialien und intelligenter Kreisläufe zu entwickeln. Besonders die Mode-Industrie steht vor einem radikalen Wandel. Die Zeit von «Fast Fashion» sind vorbei. Die Autoindustrie ist in einem radikalen Selbstwandel-Prozess, und der Finanzsektor steht massiv unter Druck, die Dekarbonisierung aktiv zu finanzieren.«
Zudem prognostiziert Horx einen Trend, der die Zukunft noch stärker prägen wird als gemeinhin angenommen: »Es ist der jugendrebellische Trend. Wir stehen vor einer Rückkehr der Revolten. Hongkong, Tunesien, Libanon, Chile, Iran, Irak - überall gehen die Jugendlichen und Zornigen auf die Straße.«
In »diktatorischen oder semidiktatorischen Gesellschaften wie China, Iran oder Russland« werde das zu einer Phase harter gesellschaftlicher Auseinandersetzungen führen, aus denen aber am Ende Demokratisierungen entstünden, sagte Horx voraus. »Es gibt nämlich keine Zukunft für ein Gesellschaftssystem, wenn die Jugend nicht mitmacht. In den Wohlstandsländern entwickeln sich neue kreative Jugendbewegungen, die auch dem dumpfen Populismus Paroli bieten. Fridays for Future ist ein Beispiel, aber auch die «Sardinen-Bewegung» in Italien.«