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Vor wem oder was sich die Deutschen fürchten

Vor welchen Bedrohungen haben die Deutschen am meisten Angst? Bei der Umfrage einer Versicherung zeigen sich große Unterschiede zu den vergangenen Jahren - und auch zwischen West und Ost. Warum?

Donald Trump
Foto: Manuel Balce Ceneta/AP Foto: Manuel Balce Ceneta/AP
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BERLIN. Neue deutsche Gelassenheit: Die Bundesbürger geben sich optimistischer und weniger von Ängsten geplagt als in den vergangenen Jahren. Das ist ein Hauptergebnis der Studie »Die Ängste der Deutschen«, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Seit 1992 gibt die R+V-Versicherung diese repräsentative Umfrage in Auftrag. Doch auch wenn die Stimmung so gut ist wie seit 25 Jahren nicht mehr, ist die Welt damit nicht in Ordnung. Die Top-Ängste der Deutschen kreisen weiterhin um Zuwanderung, Extremismus, überforderte Politiker sowie ganz neu: bezahlbares Wohnen.

Die Versicherung hat zwischen Mitte Mai und Ende Juli rund 2400 Menschen ab 14 Jahre in persönlichen Interviews repräsentativ befragen lassen. Für verschiedene Bereiche konnten sie auf einer Skala von eins bis sieben angeben, wie sehr ihnen ein Thema persönlich Sorgen bereitet. Im Langzeitvergleich sorgten sich auf dem »Angst-Index« 39 Prozent der Befragten stark. Das ist der niedrigste Wert seit 1994. Vor drei Jahren waren es noch 52 Prozent.

Was macht am meisten Angst? »Politische Sorgen verdrängen seit vier Jahren fast alle anderen Ängste«, analysierte Politikwissenschaftler Manfred Schmidt von der Universität Heidelberg. Auch wenn das Ausmaß der Furcht vor Zuwanderung und einer gefährlicheren Welt durch US-Präsident Donald Trump vermutlich auch durch Gewöhnungseffekte gesunken sei, bleibe der Kernbestand dieser Top-Ängste spürbar hoch.

So fürchtete mehr als jeder zweite Befragte, dass der Staat mit vielen Flüchtlingen überfordert ist und es mehr soziale Spannungen durch diesen Zuzug gibt. »Das spiegelt die Sorge über die Distanz von Werten wider, gepaart mit der Angst vor mehr Kriminalität«, sagte Schmidt. Dass Trump so sorgenvoll betrachtet werde, überrascht ihn nicht. Mit seiner Amerika-first-Strategie attackiere der Präsident nicht nur Feinde, sondern auch Verbündete.

Bemerkenswert an der Umfrage ist der tiefe Riss, der sich plötzlich wieder zwischen Ost und West auftut. Nach Jahren der Annäherung geht die Schere beim Angstindex 2019 wieder deutlich um rund zehn Prozentpunkte auseinander. Während der Westen zusehends gelassener wird, dominieren in Ostdeutschland die Furcht vor Zuwanderung, wenig Vertrauen in Politik und Angst vor steigenden Kosten im Alltag.

Schmidt wundert das nicht. »Jede Wahl im Osten ist wie ein Donnerschlag in Sachen Unzufriedenheit«, sagt er. »Und doch führen die etablierten Parteien fort, was sich als unzulänglich erwiesen hat.« Sie retuschierten zum Beispiel das Thema Zuwanderung weg und grenzten Rechtspopulisten aus, statt sie in Verantwortung einzubinden. Nur dann könne sich nach Schmidts Meinung zeigen, wer Problemlösungskraft besitze. Bei der AfD glaubt er nicht daran.

Die Ängste vor politischem Extremismus und Terrorismus dagegen lagen mit den Plätzen 5 und 9 weiter unter den Top-Sorgen. Dass die Furcht im Vergleich zu den Vorjahren sank, liege vermutlich daran, dass es in Deutschland nach 2016 in Berlin keinen großen Anschlag mehr gab.

Interessant lese sich in Sachen Extremismus das Spektrum: Die größten Ängste herrschten vor islamistischen Extremismus (38 Prozent), im Mittelfeld fand sich der Rechtsextremismus (25 Prozent) und weit abgeschlagen der Linksextremismus (4 Prozent). Gewalt durch Islamisten hält Schmidt für eine realistische Wahrnehmung. Die Gefahr durch Linksextremisten findet er jedoch deutlich unterschätzt.

Das Thema Wohnen wurde erstmals abgefragt und landete mit Platz sechs auf Anhieb im oberen Mittelfeld der Ängste: 45 Prozent sorgten sich um steigende Mieten und Immobilienpreise.

Die Furcht vor dem Klimawandel schaffte es dagegen nicht in die zehn Top-Ängste, sondern landete mit 41 Prozent nur auf Platz 12. »Der Medienhype um die Fridays-for-Future-Bewegung kann hier nicht als Maßstab gewertet werden«, sagte Schmidt. Umweltthemen seien dennoch tief verankert in Deutschland. Am häufigsten sorgten sich aber nicht die Jüngsten, sondern die 20- bis 59-Jährigen um das Klima.

Für Schmidt persönlich aber bleibt die Politikverdrossenheit eines der größten Probleme in Deutschland. »Jeder Dritte bewertete die Arbeit von Politikern mit den Schulnoten mangelhaft und ungenügend«, sagte er. »Wenn das die Schulnoten meiner Kinder wären, würde ich mir ernsthafte Sorgen machen«, sagte Brigitte Römstedt, Leiterin der Umfrage bei der Versicherung. (dpa)