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Taser-Einsatz der Polizei: Herzkranker Mann stirbt

Vier Polizisten gehen gegen einen mutmaßlichen Randalierer vor - und setzen einen »Taser« ein. Der 44-jährige Wohnungslose stirbt später im Krankenhaus - er war laut Obduktion herzkrank.

Polizeieinsatz in Dortmund
Ein Mann ist nach einem Polizeieinsatz in in der Ruhrgebietsstadt Dortmund gestorben. Foto: Video-Line
Ein Mann ist nach einem Polizeieinsatz in in der Ruhrgebietsstadt Dortmund gestorben.
Foto: Video-Line

Zum zweiten Mal innerhalb von knapp drei Monaten in Dortmund ist ein Mann nach einem Polizeieinsatz ums Leben gekommen. Der 44-Jährige starb in der Nacht zum Mittwoch nach dem Einsatz eines sogenannten Tasers. Bei dem Toten handelt es sich nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft um einen gebürtigen Dortmunder, der zuletzt ohne festen Wohnsitz war. Laut Obduktion war der Mann schwer herzkrank und stand zudem unter erheblichem Alkoholeinfluss, teilten die Polizei Recklinghausen und die Staatsanwaltschaft Dortmund am Nachmittag mit.

»Im Rahmen der heute durchgeführten Obduktion konnte eine Kausalität zwischen dem Einsatz des Distanzelektroimpulsgerätes und dem Todeseintritt nicht sicher festgestellt werden«, hieß es. Der 44-Jährige habe ein »schwer vorerkranktes Herz« gehabt, zudem gebe es »Anhaltspunkte zumindest für eine erhebliche Alkoholintoxikation«. Ein toxikologisches Gutachten soll genauere Auskunft geben, ob der 44-Jährige auch unter Betäubungsmitteleinfluss stand und wie stark der Alkoholeinfluss war.

Zuvor hatte eine Polizeisprecherin bestätigt, dass gegen den Mann »ein Distanzelektroimpulsgerät zum Einsatz gekommen« sei - also ein »Taser«. Drei Polizeibeamte und eine Beamtin seien an dem Einsatz beteiligt gewesen, erläuterte Staatsanwalt Kruse. Sie seien zum Teil bereits vernommen worden, jetzt aber wieder zu Hause, weil sie schon lange im Dienst waren. »Derzeit gibt es keinen Anfangsverdacht gegen einen von ihnen. Es sieht so aus, als wäre der Einsatz korrekt abgelaufen und die Beamten hätten sich richtig verhalten.«

Bodycams wurden sichergestellt

Die Bodycams der Beamten wurden sichergestellt und werden nun ausgewertet. Ob sie während des Einsatzes eingeschaltet waren, konnte Kruse noch nicht sagen. Aus Neutralitätsgründen übernahmen die Beamten aus dem benachbarten Recklinghausen die polizeilichen Ermittlungen in dem Dortmunder Fall.

Laut Staatsanwaltschaft waren die vier Einsatzkräfte gegen 4.40 Uhr wegen eines mutmaßlichen Randalierers in den Dortmunder Stadtteil Dorstfeld ausgerückt. Ein Anwohner hatte die Polizei alarmiert, weil ein Mann auf der Straße herumschrie, randalierte und gegen Autos schlug. Als die drei Polizisten und ihre Kollegin eintrafen, habe der 44-Jährige mit der Faust gegen einen der Streifenwagen geschlagen und dann versucht, über die Beifahrertür in den Polizeiwagen zu gelangen. Weil die Tür verriegelt war, probierte er es auf der Fahrerseite. Dem dort ausgestiegenen Beamten habe er »mit der Faust gegen den Kopf« geschlagen und ihn dabei verletzt. Dann sei er in den Streifenwagen eingedrungen.

Die Schilderungen von Polizei und Staatsanwaltschaft decken sich mit Zeugenaussagen, über die die »Ruhr Nachrichten« (Mittwoch) berichteten. Demnach war der Randalierer auf den Polizeiwagen losgegangen, habe einen Polizisten überwältigt und versucht, mit dem Polizeiauto davon zu fahren.

Tod des 44-Jährigen im Krankenhaus festgestellt

Zu diesem Zeitpunkt der Auseinandersetzung setzte ein Beamter das Distanzelektroimpulsgerät (DEIG) ein. Nach der vorläufigen Festnahme sei der Mann kollabiert und »reanimationspflichtig« geworden. Nach Angaben von Zeugen sowie Polizei und Staatsanwaltschaft begannen Einsatzkräfte sofort mit der Reanimation des Mannes. Ein Notarzt habe dann die Wiederbelebungsversuche fortgesetzt. Um 6.18 Uhr sei im Krankenhaus der Tod des 44-Jährigen festgestellt worden.

Der Bereich um den Einsatzort an der Wittener Straße im Bereich der Straße Am Hartweg nahe der A40, dem sogenannten Ruhrschnellweg, war stundenlang gesperrt. Spuren wurden gesichert.

Für die Polizei Dortmund ist es der zweite tödlich verlaufene Einsatz binnen 73 Tagen. Am 8. August war ein 16 Jahre alter Flüchtling aus dem Senegal in Dortmund von einem Polizisten erschossen worden. Auch im Verlauf dieses Einsatzes waren Taser zum Einsatz gekommen, hatten aber nicht die beabsichtigte Wirkung bei dem Jugendlichen erzielt. In diesem Fall laufen derzeit noch umfangreiche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen fünf Beamte.

Nach bisher bekanntem Ermittlungsstand soll ein Beamter seinerzeit sechs Mal mit einer Maschinenpistole auf den Jugendlichen geschossen haben. Ausgelöst worden war der Einsatz, weil bei dem mit einem Messer bewaffneten Jugendlichen der Verdacht eines Suizidversuchs vorlag. Laut NRW-Innenministerium und der Ermittler waren die Bodycams der Einsatzkräfte zum Schutz der Persönlichkeit des Opfers damals nicht eingeschaltet. Der 16-Jährige starb, wie die Obduktion ergab, von vier Projektilen getroffen später im Krankenhaus. Unklar ist bis heute, ob und wie der Jugendliche mit einem Messer auf die Beamten zugegangen war und sie damit bedroht hatte.

Die Elektroschock-Pistole war ein umstrittenes Thema während der Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl Mitte Mai in NRW. CDU und Grüne einigten sich letztlich darauf, die Geräte zunächst bis 2024 weiter zu testen und mit einer Bodycam zu koppeln.

Gründliche Untersuchung des Einsatzes gefordert

Nun forderte die Grünen-Regierungsfraktion im Landtag eine gründliche Untersuchung des Polizeieinsatzes in Dortmund-Dorstfeld. »Sollte der Tod des Mannes im Zusammenhang mit dem Taser-Einsatz stehen, muss geprüft werden, welche Konsequenzen dies für den zukünftigen Einsatz von Tasern bei Polizeieinsätzen hat«, sagte die innenpolitische Sprecherin Julia Höller.

Die Grünen hätten in den vergangenen Jahren »immer wieder« die verschiedenen Probleme beim Taser angesprochen. »Der Einsatz ist nicht ungefährlich, und er ist nicht für alle Einsatzsituationen geeignet«, sagte Höller. Noch vor der Bildung der Koalition mit der CDU hatten die Grünen in ihrem Wahlprogramm eine Ausstattung mit Tasern außerhalb der Spezialkräfte unter anderem wegen der gesundheitlichen Gefahren abgelehnt.

Wie die dpa erfuhr, bat die SPD im NRW-Landtag kurzfristig um einen Bericht über den neuen Fall durch Innenminister Herbert Reul (CDU) in der für Donnerstag geplanten Sitzung des Innenausschusses. Deren Vorsitzende Angela Erwin (CDU) lehnte dieses Ansinnen am Nachmittag jedoch ab.

© dpa-infocom, dpa:221019-99-179893/4