Von seinem Recht auf das letzte Wort vor der Urteilsverkündung macht er keinen Gebrauch.
Erst nachdem der Vorsitzende Richter am Landgericht Hamburg, Georg Halbach, das Strafmaß für den Messerangriff nach dem tödlichen Badeunfall an der Elbe bereits verkündet hat, bricht es aus dem 19-Jährigen heraus. »Sieben Jahre! Für was?«, ruft der junge Rumäne am Dienstag in gebrochenem Deutsch in Richtung der Staatsanwältin, die bereits ihre Sachen zusammenpackt - und offenbart damit, dass er womöglich nur wenig davon verstanden hat, was der Richter zuvor rund eine halbe Stunde erläutert hat.
Am 18. Juni vergangenen Jahres fährt der 15 Jahre alte Bruder des Angeklagten mit Freunden zum Baden an die Elbe. Er geht am Falkensteiner Ufer bei Blankenese ins Wasser, obwohl er nicht schwimmen kann - und ertrinkt. Sein bester Freund, der ebenfalls am Unglücksort ist, sagt, dass er den 15-Jährigen nicht habe retten können - diese Behauptung kostet ihn am nächsten Tag fast das Leben.
Der Angeklagte war allein mit seiner Trauer
Der angeklagte Bruder des 15-Jährigen, ein »einfach strukturierter Mensch, der psychisch nicht auf der Höhe ist«, wie Richter Halbach sagt, ist ein junger Mann ohne Ausbildung, ohne Arbeit, aber mit einem Drogenproblem und einer gut gefüllten Vorstrafenakte. »Der Angeklagte ist nie richtig erzogen worden«, sagt Halbach, was auch der Anwalt des 19-Jährigen bestätigt. Dessen Eltern hätten ihn schon mit neun Jahren rauchen und kiffen lassen, hätten sich nie um ihn gekümmert, ihn schlicht allein gelassen.
Auch am Unglückstag sei er allein geblieben mit seiner Trauer ob des Bruders, mit seiner Hilflosigkeit, mit seiner Wut. Statt ein Kriseninterventionsteam zu schicken, habe er von der Polizei am nächsten Tag nur eine Gefährderansprache erhalten, sagt der Anwalt. Schon zu diesem Zeitpunkt habe ihn die Polizei davor gewarnt, sich zu rächen, als er erneut und immer drängender nach Schuldigen fragt, obwohl die Leiche des kleinen Bruders noch gar nicht gefunden ist.
Als der 19-Jährige dann von seinem Vater erfährt, dass der beste Freund des Bruders gesagt habe, er habe nicht helfen können, glaubt er, den Schuldigen endlich gefunden zu haben. »Ich dachte, er hatte die Möglichkeit, meinen Bruder zu retten, und das nicht getan. Daher war ich wütend«, hatte er zum Prozessauftakt im Januar gesagt. Schon seit seiner Kindheit wisse er, dass man sich räche, wenn etwas passiere. »Wenn jemand meinen Bruder mit einer Pistole umbringt, darf ich ihn töten.« Bei einem Unfall dürfe er ihn aber nur verletzen.
Das Opfer war völlig wehrlos
Davon überzeugt holt er ein Klappmesser und macht sich auf den Weg zum Kalischer Platz im Harburger Phönix-Viertel. Dort trifft er den damals 16-jährigen besten Freund des Bruders, als dieser unter einem Baum einen Döner isst, und rammt ihm das Messer vier Mal in den Rücken. Der 16-Jährige verliert dabei innerlich und äußerlich 2,5 Liter Blut, kann nur durch eine Notoperation gerettet werden, kommt nur knapp an einer Querschnittslähmung vorbei und leidet noch heute unter der Attacke, wie Richter Halbach sagt.
»Er war vollkommen arg- und wehrlos«, ist Richter Halbach überzeugt. Entsprechend wertete er die Tat auch als versuchten Mord und vorsätzliche Körperverletzung. Er habe heimtückisch gehandelt, habe mehrfach und nicht spontan zugestochen. Das Motiv sei Selbstjustiz gewesen, schließt sich das Gericht der Forderung der Staatsanwältin nach sieben Jahren Jugendhaft an. Für den Angeklagten spreche sein Geständnis und seine Entschuldigung.
Ursprünglich stand auch eine Einweisung in die Psychiatrie zur Debatte. Ein Gutachter hatte dem 19-Jährigen Schizophrenie bescheinigt, was der Angeklagte aber zurückwies. Der Verteidiger macht sich mit seiner Anwaltskollegin für eine maßvolle Jugendstrafe von maximal drei Jahren Haft stark, spricht in seinem Plädoyer von einer Tragödie.
Nicht nur, dass es sich bei dem Tod des 15-Jährigen um ein tragisches Unglück handelte, für das niemand etwas konnte, wie Richter Halbach sagt. Darüber hinaus hatte der beste Freund des Opfers damit auch gar nichts zu tun. Er sei auch nicht ins Wasser gegangen, um seinen Freund zu retten. Er habe die Geschichte von der misslungenen Rettung vielmehr erfunden, weil er nicht als jemand gelten wollte, der nicht alles für seinen besten Freund tue.
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