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Prozess gegen Messerstecher von Würzburg hat begonnen

Mit Wucht und getrieben von Hass soll ein Mann in Würzburg auf wehrlose Unschuldige eingestochen haben. Für die Angehörigen bleibt die Frage, warum der wohl psychisch kranke Mann überhaupt frei herumlaufen durfte...

Opfer des Würzburger Messerstechers
Hier ist es passiert: Vor einem Kaufhaus werden der Opfer einer Messerattacke gedacht. Foto: Karl-Josef Hildenbrand
Hier ist es passiert: Vor einem Kaufhaus werden der Opfer einer Messerattacke gedacht.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand

Er soll den Bezug zur Realität verloren haben - und das schon vor Jahren. Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Stimmen im Kopf.

Warum im vergangenen Juni ein Mann in Würzburg mit einem mehr als 30 Zentimeter langen Küchenmesser drei Frauen tötete und neun Menschen verletzte, versucht das Landgericht Würzburg seit Freitag herauszufinden.

Die Generalstaatsanwaltschaft München wirft dem Beschuldigten unter anderem Mord in drei Fällen, versuchten Mord in elf Fällen und gefährliche Körperverletzung vor.

Schon am ersten Prozesstag wird klar: Es wird ein langwieriges, nervenaufreibendes Verfahren, in dem vor allem die Aussagen der Opfer und Tatzeugen die Vorwürfe der Generalstaatsanwaltschaft untermauern sollen. Demnach handelte der Flüchtling aus Hass auf Deutschland, er fühlte sich ungerecht behandelt - doch wieso?

Anwalt: keine terroristischen Motive

Während der Attacke soll er mindestens zweimal den Ausruf »Allahu Akbar« (»Gott ist groß«) gerufen haben. Dschihadisten und Salafisten benutzen den Ausdruck oft wie einen Schlachtruf. Damit kapern Extremisten die zentrale religiöse Formel des Islams, die seit Jahrhunderten von Muslimen weltweit benutzt wird. Weitere Hinweise auf Extremismus fanden die Ermittler aber nicht. »Zu keinem Zeitpunkt hat es terroristische Motive gegeben«, versichert der Anwalt des Beschuldigten, Hans-Jochen Schrepfer, im Auftrag seines Mandanten.

Fraglich ist, ob dem Mann Mordmerkmale wie Heimtücke und niedrige Beweggründe, etwa Rachsucht oder Zorn, nachzuweisen sind. Und unklar ist, ob die Angehörigen eine Antwort auf ihre Frage bekommen werden, warum der seit Jahren psychisch auffällige Mann nicht längst in einer geschlossenen Psychiatrie saß.

Oberstaatsanwältin Judith Henkel schildert zu Prozessbeginn in einer Veranstaltungshalle in Veitshöchheim bei Würzburg die dramatischen Minuten am Tattag, dem 25. Juni 2021. Es ist warm, die Universitätsstadt am Main voller Menschen. Kurz nach 17 Uhr betritt der Beschuldigte ein Kaufhaus am Barbarossaplatz. Nach nicht einmal fünf Minuten sind drei Menschen tot. »Die Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten nutzte der Beschuldigte bewusst aus und handelte in feindseliger Willensrichtung gegen das Opfer.«

Drei Frauen sterben

Nacken, Kopf, Oberkörper - mit unvorstellbarer Wucht soll der Somalier das Messer immer wieder in die ihm unbekannten Menschen gerammt haben. Drei Frauen im Alter von 24, 49 und 82 Jahren sterben. Vier weitere Frauen, ein damals 11-jähriges Mädchen und ein 16-Jähriger überleben schwer verletzt. Hinzu kommen drei Leichtverletzte. Ein angegriffener Polizist bleibt unversehrt.

»Ein Großteil der Tatopfer hatte keine Möglichkeit, den Angriff durch den Beschuldigten vorauszuahnen, sondern wähnte sich in völliger Sicherheit«, sagt Henkel. »Die natürliche Abwehrbereitschaft und Abwehrfähigkeit fehlten deshalb gänzlich.«

Vor Gericht will der etwas verloren wirkende Beschuldigte - er nimmt Medikamente wegen seiner psychischen Erkrankung - zunächst nichts zu der Attacke sagen. Verteidiger Schrepfer versichert, sein Mandant habe sich für die Tat entschuldigt und empfinde Mitgefühl. »Er bedauert das Leid, das er vor allem den Opfern und den Angehörigen zugefügt hat.« Innere Stimmen hätten ihn zu der Attacke bewegt.

Der vermutlich 33-Jährige - genau wissen es weder die Ermittler noch der Mann selbst - soll seine Opfer willkürlich ausgesucht haben, »um seinem Plan entsprechend möglichst viele Menschen zu töten und sich für die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit zu rächen«, betont Henkel. »Er war trotz der bei ihm vorliegenden paranoiden Schizophrenie von Rachsucht beherrscht.«

Fast 30 Verhandlungstage

Eine junge Frau ist am Tattag gerade in einem Würzburger Kaufhaus und sucht ein Kleid für eine Hochzeit, als der Somalier hereinkommt. Er fragt den Ermittlungen zufolge nach Messern, schnappt sich eines aus der Auslage und sticht wahllos auf die Frauen in seiner Nähe ein. Die 24-Jährige verfolgt das Geschehen wie paralysiert. Als der Täter sie angreift, ist sie »aufgrund ihres Schockzustands vollkommen bewegungsunfähig«, erklärt Henkel. Die junge Frau stirbt noch in dem Kaufhaus.

Fast 30 Verhandlungstage, 55 Ordner Ermittlungsakten: Bis Ende September könnte das Schwurgericht in dem Sicherungsverfahren verhandeln. Der Migrant, der 2015 erstmals in Deutschland registriert wurde und seither mehrmals wegen psychischer Probleme aufgefallen war, soll nach dem Willen der Generalstaatsanwaltschaft in einer Psychiatrie unterkommen - womöglich lebenslang. Er war zwei Gutachtern zufolge bei der Tat wohl schuldunfähig und könnte für die Allgemeinheit dauerhaft gefährlich sein.

Bis zur Tat wohnte der Mann in einer Obdachlosenunterkunft in Würzburg. Sein Alter ist unklar. Wie viele Migranten aus Bürgerkriegsländern kam er offenbar ohne Pass. Er sei 1989 geboren, sagt der Beschuldigte vor Gericht. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, an welchem Tag dies gewesen sei, ergänzt er mit Hilfe einer Übersetzerin: »Ich meine, mich zu erinnern, dass meine Mutter gesagt hat, im Dezember.« Demnach wäre er 32.

© dpa-infocom, dpa:220422-99-998081/7