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Nach Schulmassaker erheben Angehörige Vorwürfe gegen Polizei

Ermittlungen legen erschütternde Erkenntnisse zum Polizeieinsatz bei dem Amoklauf an einer US-Grundschule offen. Die Waffenlobby und ihr Unterstützer Donald Trump sehen indes eine Lösung.

Donald Trump
Donald Trump während seiner Rede auf der Jahrestagung der National Rifle Association. Foto: Michael Wyke
Donald Trump während seiner Rede auf der Jahrestagung der National Rifle Association.
Foto: Michael Wyke

Nach dem verheerenden Schulmassaker im US-Bundesstaat Texas steht die Polizei wegen schwerer Versäumnisse stark in der Kritik. Nach offiziellen Angaben waren bereits zu einem frühen Zeitpunkt 19 Polizisten im Flur vor dem Klassenraum präsent, in dem sich der Amokläufer mit Lehrern und Schülern verschanzt hatte.

Die Beamten unternahmen aber mehr als 45 Minuten lang keine Versuche, in den Raum einzudringen. Angehörige warfen der Polizei vor, sie hätten Leben retten können. Der frühere US-Präsident Donald Trump forderte als Reaktion auf den Amoklauf derweil mehr Waffen an Schulen.

Blutbad

Ein 18 Jahre alter Schütze hatte am Dienstag an einer Grundschule in der texanischen Kleinstadt Uvalde 19 Kinder und zwei Lehrerinnen getötet. Er hatte sich mit ihnen in zwei miteinander verbundenen Klassenräumen eingeschlossen und dort das Blutbad angerichtet.

Der Direktor der Behörde für öffentliche Sicherheit in Texas, Steven McCraw, hatte am Freitag die erschütternden neuen Erkenntnisse vorgestellt, wonach die 19 Polizisten im Flur mehr als eine Dreiviertelstunde lang nicht eingeschritten waren, sondern auf Spezialkräfte zur Verstärkung gewartet hatten. Die Beamten vor Ort seien davon ausgegangen, dass der Schütze nicht mehr schieße, sondern sich lediglich verbarrikadiert habe. Dies habe sich im Nachhinein als Fehleinschätzung erwiesen. »Es war die falsche Entscheidung. Punkt«, sagte McCraw. »Dafür gibt es keine Entschuldigung.«

Junge Augenzeugin berichtet

Er gab auch an, mehrere Kinder hätten aus dem Doppel-Klassenraum die Polizei angerufen. Eines der Kinder, das den Notruf gewählt hatte, ist eigenen Angaben nach die elfjährige Miah. Sie schilderte dem Sender CNN die schrecklichen Szenen, die sich in ihrer Klasse abspielten. Der Schütze sei in das Zimmer gekommen und habe zu einer Lehrerin »Gute Nacht« gesagt und die Frau erschossen. Er habe dann auf die andere Lehrerin und die Kinder geschossen. Als der Angreifer in den Nachbarraum gegangen sei, habe sie mit einer Freundin das Telefon der getöteten Lehrerin holen können und den Notruf angerufen. Das Mädchen habe sich schließlich mit dem Blut eines toten Klassenkameraden beschmiert, um sich tot zu stellen, berichtete CNN. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass die Polizei bereits im Flur stand, sagte die Elfjährige.

Angehörige erhoben angesichts der neuen Erkenntnisse schwere Vorwürfe gegen die Polizei. »Sie hätten einige Leben retten können«, zitierte die »Washington Post« den Großvater einer getöteten Schülerin. »Sie hätten sie retten können«, sagte er mit Blick auf seine Enkelin.

Der Gouverneur unter Druck

Der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott, hatte am Mittwoch mit der Aussage Aufsehen erregt, dass alles hätte noch viel schlimmer kommen können. »Der Grund, warum es nicht schlimmer war, ist, dass die Strafverfolgungsbehörden taten, was sie taten«, sagte er da. Angesichts der neuen Enthüllungen geriet Abbott am Freitag unter Druck und wurde von Reportern zu einer Stellungnahme gedrängt. »Ich wurde in die Irre geführt«, sagte der Republikaner. Er habe der Öffentlichkeit die Informationen weitergeben, die ihm Sicherheitskräfte nach dem Massaker in der Grundschule geschildert hätten. »Die Informationen, die mir gegeben wurden, erwiesen sich zum Teil als ungenau, und ich bin absolut wütend darüber.«

Mit Blick auf mögliche Konsequenzen für den örtlichen Polizeichef sagte der Gouverneur: »Was seinen Beschäftigungsstatus betrifft, so entzieht sich das meiner Kontrolle, und ich habe keine Kenntnis davon.« Er versprach Aufklärung, sah aber erneut das Problem nicht in den laxen Waffengesetzen in Texas. Viele prominente Republikaner argumentieren, nicht Waffen und mangelnde Regularien, sondern psychische Erkrankungen seien eine Hauptursache für derartige Taten.

Ähnlich äußerte sich am Freitag auch Trump bei der Jahrestagung der mächtigen Waffenlobby NRA (National Rifle Association) in Houston. Der frühere Präsident verteidigte das vielerorts laxe Waffenrecht in den USA und forderte stattdessen mehr Waffen an Schulen. »Die Existenz des Bösen ist einer der allerbesten Gründe, gesetzestreue Bürger zu bewaffnen«, sagte er. Bewaffnete Lehrer und bewaffnete Sicherheitskräfte könnten schreckliche Taten wie die in Uvalde verhindern, argumentierte der Republikaner. »Es gibt kein einladenderes Zeichen für einen Massenmörder als ein Schild, das eine waffenfreie Zone deklariert.« Dies seien die »gefährlichsten Orte«.

Proteste in Houston

Die Jahrestagung der NRA (National Rifle Association) fand in Houston nur drei Tage nach dem Massaker statt, das sich rund 450 Kilometer entfernt in der Schule in Uvalde ereignet hatte. Einige Politiker und Musiker sagten ihre Teilnahme an der NRA-Veranstaltung ab, Trump aber nicht. Vor dem Veranstaltungsgelände protestierten Medienberichten zufolge Tausende Menschen gegen Waffengewalt und die NRA.

Zahlreiche Experten warnen davor, Lehrer zu bewaffnen. Sie sagen, dies würde Schulen nicht zu sicheren Orten machen. »Die Bewaffnung von Lehrern ist eine rundum schlechte Idee, weil sie zu zahlreichen Katastrophen und Problemen einlädt«, zitierte der Radiosender NPR den Wissenschaftler Matthew Mayer, der an der Rutgers-Universität in New Jersey zu Gewalt an Schulen forscht. Die Chance, dass ein solches Vorgehen tatsächlich helfe, sei gering.

© dpa-infocom, dpa:220528-99-459522/5