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Laschet schließt regionalen Lockdown nicht mehr aus

Bei den Corona-Reihentests in Rheda-Wiedenbrück hilft jetzt auch die Bundeswehr. Auf dem Gelände des Schlachtbetriebs Tönnies nahmen Soldaten am Freitag erste Proben. Am Abend äußerte sich der Ministerpräsident - und warnte eindringlich.

Armin Laschet
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet: »Jeder einzelne ist jetzt gefordert, auch der nicht in der Fleischindustrie beschäftigt ist.«. Foto: Marcel Kusch/dpa
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet: »Jeder einzelne ist jetzt gefordert, auch der nicht in der Fleischindustrie beschäftigt ist.«. Foto: Marcel Kusch/dpa

DÜSSELDORF. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) schließt nach dem massiven Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies mit Hunderten Infizierten einen regionalen Lockdown nicht mehr aus. Das Infektionsgeschehen könne noch lokalisiert werden.

»Sollte sich dies ändern, kann auch ein flächendeckender Lockdown in der Region notwendig werden«, sagte Laschet am Freitagabend in Düsseldorf. Er sprach von einem massiven Ausbruchsgeschehen: »Das größte, bisher nie dagewesene Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen.«

Nach Auftreten des Virus in dem Tönnies-Werk sind im Kreis Gütersloh bereits das Schließen von Schulen und Kitas angeordnet worden. Einen Lockdown will der Kreis nach bisherigen Angaben aber mit diesen und weiteren Maßnahmen abwenden. Am Freitagabend gab er bekannt, dass sämtliche Mitarbeiter am Standort Rheda-Wiedenbrück in Quarantäne müssen. Das betreffe auch die Verwaltung, das Management und die Konzernspitze, teilte der Kreis Gütersloh am Freitagabend mit.

Einige Mitarbeiter können den Angaben nach aber in sogenannte Arbeitsquarantäne. Das heißt, dass sie sich nur zwischen Arbeits- und Wohnort bewegen dürfen. Das gilt auch für Clemens Tönnies, Gesellschafter von Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies, wie ein Konzernsprecher der Deutschen-Presse Agentur sagte.

Nach Angaben des Kreises wurden mittlerweile 3500 Tests bei der Firma Tönnies vorgenommen. Am Freitag seien allein 1450 Mitarbeiter getestet worden, berichtete der Kreis am späten Nachmittag. Bislang wurden insgesamt 803 Infizierte registriert. 463 Testergebnisse waren negativ. Die restlichen Befunde stehen noch aus.

Bei den angeordneten Massentests hilft jetzt die Bundeswehr aus. Am Freitag trafen 25 Soldaten ein und nahmen erste Proben bei Mitarbeitern. Sie beteiligten sich auch an organisatorischen Arbeiten: »Es wurden Absperrungen und Zäune aufgebaut«, sagte der Sprecher der Bundeswehr in NRW, Uwe Kort. Die Soldaten kommen aus Augustdorf im benachbarten Kreis Lippe und aus Rheinland-Pfalz. »Der Kreis hat aber weiter die Verantwortung«, so der Bundeswehr-Sprecher weiter. »Wir unterstützen nur.« Der Kreis richtete zudem weitere Hilfeersuche an die Bundeswehr, die Polizei und das Land NRW, wie er am Freitagabend berichtete.

Laschet sieht ein großes Problem in der breiten Streuung der Wohnorte der Tönnies-Beschäftigten. Der Ministerpräsident sprach von einer schwierigen Lage, weil die Mitarbeiter des Schlachtbetriebs neben dem Kreis Gütersloh auch in Warendorf, Soest, Bielefeld, Hamm und anderen Orten lebten. Diese Streuung berge eine enorme Pandemiegefahr.

Das NRW-Landeskabinett will sich am Sonntag in einer Sondersitzung mit dem Corona-Ausbruch bei Tönnies beschäftigen. Dort werde die Landesregierung die Lage erneut bewerten, sagte Laschet. Gesundheitsminister Jens Spahn und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) hätten zugesagt, so viel Personal bereitzustellen, wie erforderlich ist. »Es wird alles getan, was nötig ist - auch mit Unterstützung des Bundes«, sagte Laschet.

Der Ministerpräsident appellierte an die Menschen vor allem in der Region Gütersloh, Hygieneregeln »ganz streng« einzuhalten. »Jeder einzelne ist jetzt gefordert, auch der nicht in der Fleischindustrie beschäftigt ist«, sagte Laschet. Jeder solle sich unter anderem an die Maskenpflicht halten und Abstand zu anderen Menschen wahren.

Der Ausbruch hat Auswirkungen auf zahlreiche Nachbarstädte in der Region, in denen Tönnies-Mitarbeiter wohnen. In der rund 40 Kilometer entfernten Stadt Hamm wurden drei Schulen bis zu den Sommerferien geschlossen, nachdem drei Kinder von Tönnies-Mitarbeitern positiv getestet worden waren. »Alle Lehrer und Schüler der jeweiligen Klassen sowie alle weiteren Kontaktpersonen der infizierten Kinder werden vom städtischen Coronamobil getestet und bis zum Testergebnis unter Quarantäne gestellt«, berichtete die Stadt. Betroffen von der Quarantäne sind eine Grund-, eine Real- und eine Hauptschule. Insgesamt leben demnach 95 Tönnies-Mitarbeiter in Hamm.

Auch im Kreis Warendorf sind alle Tönnies-Mitarbeiter unter Quarantäne gestellt. Der Kreis empfahl allen Personen, die mit Tönnies-Mitarbeitern zusammenleben, sich ebenfalls in Quarantäne zu begeben. Bis Freitag wurden der Kreisverwaltung 110 infizierte Mitarbeiter bekannt. Die meisten davon lebten in Oelde, berichtete der Kreis. Im Kreisgebiet lebten 680 Mitarbeiter, die bei externen Dienstleistern beschäftigt seien. Hinzu kämen noch etwa 300 festangestellte Tönnies-Mitarbeiter. In der besonders stark betroffenen Stadt Oelde waren die Schulen und Kindergärten seit Donnerstag geschlossen. Am Montag sollen sie wieder öffnen.

Die Bundesregierung drang auf Eindämmung des Ausbruchs. Es komme jetzt darauf an, möglichst schnell die Infektionsketten zu unterbrechen, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Berlin. Daher sei es richtig, dass im Landkreis Gütersloh in großem Maßstab Reihentests angeordnet worden seien. Eine neue Verordnung ermöglicht mehr Tests auch ohne Symptome auf Kassenkosten. Das Robert Koch-Institut habe Kontakt mit dem Gesundheitsamt vor Ort.

Laschet hat den Eltern und Kindern Respekt gezollt, die wegen des Corona-Ausbruchs bei Tönnies nun wieder mit geschlossenen Schulen und Kitas konfrontiert sind. Ausgerechnet sie seien die ersten, die von den Maßnahmen der Behörden betroffen seien, sagte der NRW-Ministerpräsident. »Ich kann das sehr nachvollziehen, nachempfinden, was das für ein Kind bedeutet, das monatelang nicht in der Kita und in der Schule war, das dann wieder hindarf, und das nun ein Opfer dieses Vorgangs ist. Das ist einem Kind sehr schwer zu erklären«, sagte er. (dpa)