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Klima-Protest ohne Grenzen? Wenn Kleben Leben gefährdet

Ein Einsatzfahrzeug trifft später als geplant am Unfallort ein. Klima-Aktivisten hatten zuvor eine Autobahn blockiert. Mit diesem Vorfall hat sich die Debatte über den Klima-Protest noch einmal verschärft.

Betonmischer-Unfall
Nach dem Unfall mussten sowohl die Radfahrerin als auch der LKW-Fahrer im Krankenhaus versorgt werden. Foto: Paul Zinken
Nach dem Unfall mussten sowohl die Radfahrerin als auch der LKW-Fahrer im Krankenhaus versorgt werden.
Foto: Paul Zinken

Eine Frau wartet schwer verletzt auf Hilfe. Ein Betonmischer hatte sie zuvor überrollt. Mitten in Berlin, am frühen Montagmorgen, ganz in der Nähe des Bahnhofs Zoo. Die Szene an sich ist verstörend genug.

Was danach geschieht, ist es ebenfalls: Es wird bekannt, dass sich die Hilfe, die die Frau so dringend braucht, wegen Klima-Protesten verspätet. Aktivisten der Protestgruppe »Letzte Generation« hatten sich, wie schon seit Monaten, wieder an einer Fahrbahn festgeklebt. Das Spezialfahrzeug, das die verunglückte Radfahrerin bergen sollte, habe deswegen »eine recht relevante Zeit« im Stau gestanden, sagt ein Feuerwehrsprecher.

»Shit happens«-Tweet erregt die Gemüter

Die Aktivisten selbst drücken wenig später ihr Bedauern aus. Sprecherin Carla Hinrichs erklärt per Mitteilung, sie hoffe inständig, dass sich der Zustand der Radfahrerin nicht durch das späte Eintreffen des Einsatzwagens verschlimmert habe. Am Tag drauf versichert Gruppenmitglied Lars Werner, dass die Aktivisten weiterhin »mit größtmöglicher Sorgfalt darauf achten« würden, dass durch sie keine Rettungseinsätze oder Notfälle blockiert werden. Wenn ein Rettungswagen durch müsse, stünden die Aktivisten »unverzüglich auf«, sagt Werner der dpa. »Der Schutz von Menschenleben hat in jedem Fall eine höhere Priorität, als einzelne Autos zu blockieren.«

Anzeichen dafür, dass die »Letzte Generation« künftig auf bestimmte Formen des Protests verzichten könnte, sind aus den Antworten nicht herauszulesen. Zum Weitermachen ermutigt werden die Aktivisten auch auf Twitter. So schreibt etwa der Klima-Aktivist Tadzio Müller zum Unfall und an die Adresse seiner Mitstreiter: »Scheiße, aber: nicht einschüchtern lassen. Es ist Klimakampf, nicht Klimakuscheln.« Sein Fazit: »Shit happens.«

Wenig später löscht er den Tweet und entschuldigt sich. Die Kommentare darunter zeigen: Nicht jeder nimmt die Entschuldigung an. Das Thema polarisiert und erregt die Gemüter.

Beschädigte Kunstwerke, die Aktivisten mit Kartoffelbrei übergießen, sind das eine. Aber kann und darf der Protest fürs Klima so weit gehen, dass er Menschenleben gefährdet? Nein, das dürfe nicht sein, sagt nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sich in den vergangenen Wochen nie so deutlich zu extremen Formen des Klimaprotests geäußert hatte. Er appelliere an die Beteiligten, andere nicht zu gefährden, sagt Scholz. Die Aktionen der »Letzten Generation« seien insgesamt nicht auf »sehr weitreichenden Beifall« gestoßen. Auf seinen Beifall auch nicht, schiebt er hinterher.

Kopfschütteln über Klima-Aktionen wird heftiger

Auch Marco König, Vorsitzender des Deutschen Berufsverbands Rettungsdienst e.V., ist alles andere als begeistert. »Wenn sich Klimaaktivisten auf Straßen festkleben und dadurch Einsatzfahrzeuge erheblich später zum Einsatzort gelangen, ist das nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch strafrechtlich zu bewerten, sollte dadurch ein Schaden für den Notfallpatienten entstehen«, sagt er der dpa. Selbstverständlich könne es auch durch Unfälle oder hohes Verkehrsaufkommen zu Verzögerungen kommen.

Allerdings liege hier, anders als bei den Klima-Aktionen, »grundsätzlich kein Vorsatz vor«. Dafür, dass auch noch Rettungswagen beansprucht würden, um festgeklebte Aktivisten von der Fahrbahn zu »befreien«, hat König überhaupt kein Verständnis. Das überschreite definitiv »rote Linien«, sagt er - und ist mit diesen Gedanken auch nicht alleine. Nach den Angriffen auf Kunstgemälde, wie im Museum Barberini in Potsdam, ist das Kopfschütteln über die Aktionen heftiger geworden. Dass es jetzt auch möglicherweise um Menschenleben geht, ist ein weiterer Dämpfer für die Akzeptanz des Protests.

Auch die Rufe nach Konsequenzen werden immer lauter. Rund 730 Verfahren hat die Berliner Staatsanwaltschaft inzwischen (Stand 25. Oktober) zu den anhaltenden Aktionen auf den Tisch bekommen. Die FDP in Berlin fordert eine zentrale Stelle, die Betroffenen helfen soll, Schadenersatzansprüche geltend zu machen.

Luisa Neubauer findet kritische Worte

Und selbst die prominenteste Klima-Aktivistin Deutschlands, Luisa Neubauer, findet kritische Worte: »Die Legitimation von Aktionen steht und fällt damit, dass Menschen nicht in Gefahr gebracht werden«, sagt sie am Dienstag der dpa. Kritische Situationen, wie die Bildung einer Rettungsgasse, würden bei allen Protestaktionen ihrer Organisation Fridays for Future »regulär eingeplant«, betont sie. Was sie aber auch zu bedenken gibt: Zu »kritischen Momenten« werde es auch in Zukunft kommen, solange der Konflikt hinter den Protesten nicht befriedet sei, sagt Neubauer.

Die Reaktion von Scholz bezeichnet sie als »zynisch«. Der Kanzler selbst trage schließlich »höchstpersönlich« dazu bei, dass durch politische Blockade von schnellem Klimaschutz indirekt Menschen gefährdet würden. »Solange die Regierung gerechten Klimaschutz blockiert, wird es in der Gesellschaft immer mehr Spaltung geben.«

© dpa-infocom, dpa:221031-99-333790/18