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Können wir uns auf »Corona-Weihnachten 2.0« freuen?

In der Werbung leuchtende Kinderaugen beim Blick unter den Weihnachtsbaum, in den Nachrichten volle Intensivstationen - Deutschland geht in eine weitere Adventszeit in der Pandemie.

Corona-Weihnachten
Können wir uns auf »Corona-Weihnachten 2.0« freuen?. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Können wir uns auf »Corona-Weihnachten 2.0« freuen?. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

BERLIN. Bei der Senioren-Hotline des Vereins Silbernetz häufen sich derzeit die Anrufe einsamer Menschen. Viele machen sich Gedanken, wie Weihnachten wird, erzählt Gründerin Elke Schilling.

»Sie wollen nicht noch ein Weihnachten allein feiern, haben noch die Erinnerung an letztes Weihnachten, an dem sie teils ihre Familie nicht sehen konnten, ihre Enkel.« Anders als im letzten Jahr ist Deutschland nicht in einem Winter-Lockdown, mittlerweile sind viele Menschen geimpft - aber trotzdem erreichen die Corona-Zahlen Rekordwerte.

Hinzu kommen noch Sorgen wegen der neu entdeckten Virusvariante B.1.1.529, die sich in Südafrika verbreitet und die möglicherweise gefährlicher sein könnte als bislang bekannte. »Diese neu entdeckte Variante besorgt uns, daher handeln wir hier pro-aktiv und frühzeitig. Das letzte, was uns jetzt noch fehlt, ist eine eingeschleppte neue Variante, die noch mehr Probleme macht«, erklärt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kurz vor dem ersten Adventswochenende.

Zuvor hatte Christina Jochim von der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung noch beobachtet, dass sich die Stimmung in der Pandemie gewandelt hat: »Letztes Jahr waren das vor allem Gefühle von Verunsicherung, Angst, Überraschung und Traurigkeit, dass eine liebgewonnene Tradition wegfällt. Jetzt – zu Corona-Weihnachten 2.0 – sind weniger Ängste und viel mehr Ärger und Frustration im Spiel. Wir sind ein Stück weit pandemieerfahren, aber nicht pandemieverlaufserfahren, also was es wirklich bedeutet, dieses Auf und Ab.« Ob die Ängste nun mit der neuen Virusvariante wieder verstärkt in den Fokus rücken?

Enttäuschung groß

So oder so ist die Enttäuschung, voraussichtlich ein weiteres Weihnachten unter Corona-Bedingungen zu verbringen groß. Das ist für die Psychotherapeutin nicht überraschend: »Weihnachten ist ein Fest, das eine Tradition ist, und Traditionen und Rituale dienen aus psychologischer Sicht dazu, gemeinsame Identität zu stiften, Verbindung zu stiften, Orientierung zu geben. Diese wiederkehrenden Ereignisse sind auch Stabilität, Struktur, Ankerpunkte im Jahr.« Ritualforscherin Katrin Bauer nennt noch einen Grund, weshalb Rituale wichtig sind: »Rituale leiten uns und geben uns Handlungssicherheit. Wir wissen automatisch, was wir zu tun haben. Fällt das weg, entsteht eine Lücke.«

Die gute Nachricht: Menschen sind erfinderisch. In der Corona-Zeit gibt es jetzt mehr Aufmerksamkeit für Rituale, die man gut zu Hause machen kann, hat Bauer vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte beobachtet - zum Beispiel einen Adventskranz selbst zu binden oder für die Kinder eine Wichteltür aufzustellen. Statt mit den Kollegen auf den Weihnachtsmarkt zu gehen oder im Restaurant zu feiern, treffen wir uns digital. Manche dieser neuen Rituale werden die Pandemie überdauern, vermutet sie - auch wenn bei virtuellen Feiern das emotionale Erleben fehlt, die Gerüche, das Zusammenstehen.

Rituale für viele wichtig

»Wir suchen uns Rituale, die in unser Leben passen«, sagt Bauer. Trotzdem: »Gerade Advents- und Weihnachtsrituale werden sehr stark innerhalb der Familie weitergegeben, da gibt es oft Grundgerüste – zum Beispiel gibt es bei uns an Heiligabend immer Würstchen und Kartoffelsalat.« Besonders alten Menschen sind diese Traditionen sehr wichtig - und für sie ist die Vorstellung schlimm, Weihnachten nicht so feiern zu können wie sonst, sagt Schilling vom Verein Silbernetz.

Gleichzeitig gibt es oft auch Streit unter dem Weihnachtsbaum, wenn man plötzlich Zeit mit der Familie hat. »Es gibt auch die, die fast ein bisschen froh oder zumindest entlastet sind, dass sie das an Weihnachten dieses Jahr anders machen dürfen, ohne sich rechtfertigen zu müssen«, sagt Psychotherapeutin Jochim.

Im vergangenen Jahr wurde mantraartig wiederholt, wenn der Lockdown helfe, könne es ein normales Weihnachten geben. Es kam bekanntlich anders. Nun heißt es wieder abwarten und abwägen - welches Risiko hat man selbst, haben die Verwandten und anderen Menschen in der Umgebung, sich anzustecken und heftig zu erkranken? Ist es vernünftig, sich zu treffen? Längst sind Kliniken in manchen Regionen überlastet. Und was wird Ende Dezember überhaupt erlaubt sein?

Wie aber in den nächsten Wochen umgehen mit der Unsicherheit? Jochim rät, zu schauen, worauf man Einfluss hat und sich da Perspektiven zu schaffen. »Wo, mit wem, in welchem Rahmen wäre Weihnachten möglich, möglichst konkret. Und gleichzeitig ist es wichtig, alle Gefühle anzuerkennen, sich auch mal ordentlich ärgern zu können. Und noch wichtiger ist es, damit wieder aufhören zu können. Auf die Dauer ist Ärger ein zusätzlicher Stressor.« Manche der Anrufenden bei der Senioren-Hotline arbeiten auch an einem Plan B - und wollen sich am liebsten schon für Heiligabend zum Telefonieren verabreden. (dpa)