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Aktuell Hochwasser

»Horror« - Viele Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz

»Das Leid nimmt auch gar kein Ende«, sagt Malu Dreyer über die Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz. Die Situation bleibt angespannt, das Ausmaß der Zerstörung wird immer klarer.

Nach dem Unwetter in Nordrhein Westfalen
Ein Drohnen Aufnahme zeigt das Ausmaß der Zerstörung in Erftstadt nach dem Unwetter. Foto: Young/dpa
Ein Drohnen Aufnahme zeigt das Ausmaß der Zerstörung in Erftstadt nach dem Unwetter.
Foto: Young/dpa

ERFSTADT. Wassermassen unterspülen Häuser, die Gebäude stürzen ein, rutschen ab, Menschen sterben: Die Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands bringt Chaos, Verwüstung und Leid. Ihr Ausmaß kann noch nicht abgeschätzt werden.

Klar ist: Mehr als 100 Menschen haben in NRW und Rheinland-Pfalz ihr Leben verloren. Die Zahlen werden noch weiter steigen, wird befürchtet. Zahlreiche Menschen werden vermisst. Viele, viele andere stehen vor den Trümmern ihrer Existenz.

In Erftstadt in Nordrhein-Westfalen werden Häuser mitgerissen und verschwinden. Menschen kommen bei den Einstürzen ums Leben. Die Flut sei schnell gekommen, sagt Landrat Frank Rock (CDU). Senken hätten binnen zehn Minuten unter Wasser gestanden. Es habe kaum Zeit gegeben, die Menschen zu warnen. Aus der Luft sind Erdrutsche von gewaltigem Ausmaß zu sehen. Riesige Erdlöcher klaffen. »Es ist eine katastrophale Lage, wie wir sie hier noch nie hatten«, sagt der Landrat.

Immer wieder kommen Notrufe aus dem Ort unweit von Köln. Die Rettungsarbeiten sind schwierig: Menschen werden mit Booten vom Wasser aus gerettet. Die Situation ist unübersichtlich. Mit Schreien versuchen Menschen laut Fernsehberichten, Retter auf sich aufmerksam zu machen. Er habe noch keine konkrete Zahl über Todesopfer oder Vermisste, sagt Rock.

Aus der Luft ist zu sehen, dass große Teile der Gemeinde nahezu komplett unter Wasser stehen. Nach dem extremen Starkregen war der Fluss Erft über die Ufer getreten. In der Nähe stürzen Teile der gesperrten Autobahn 1 in den Fluss.

23 Städte und Landkreise sind in NRW von Überschwemmungen betroffen. Die Rurtalsperre hatte gegen Mitternacht begonnen, infolge der immensen Regenmengen überzulaufen. Zumindest hier gibt es etwas Entwarnung. Der Wasserverband Eifel-Rur spricht von einer »geringen Dynamik«. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet sagt: »Die Staudämme der Talsperren in Nordrhein-Westfalen sind, mit Ausnahme der Steinbachtalsperre, stabil und unbeschädigt.« An der Steinbachtalsperre im Kreis Euskirchen droht ein Durchbrechen des Staudamms. Mehrere Ortschaften im Bereich des Sees wurden deshalb evakuiert.

Laschet: Flut-Katastrophe von historischem Ausmaß

Laschet (CDU) spricht von einer »Flut-Katastrophe von historischem Ausmaß«. Es stehe zu befürchten, dass die Opferzahlen weiter steigen werden. »Die Fluten haben vielen Menschen buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen.«

Die Bilder machen die Kraft der Naturgewalten deutlich: Wo eine Einkaufsstraße war, fließt auf einmal ein Fluss. Wie umhergeworfenes Spielzeug liegen Fahrzeuge in der Landschaft. Manche Häuser sind zur Hälfte weggespült wie Kartenhäuschen - oder verschwunden. Nach wie vor sind viele Haushalte ohne Strom, Orte sind nicht zu erreichen, der Bahnverkehr ist enorm eingeschränkt.

In Rheinland-Pfalz haben vielerorts die Aufräumarbeiten begonnen. Menschen räumten herausgespültes Hab und Gut aus dem Schlamm. Das Entsetzen im Land ist groß. »Das Leid nimmt auch gar kein Ende«, sagt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) beim Besuch der Leitstelle der Berufsfeuerwehr in Trier am Freitagmorgen. Da das Wasser überall zurückgehe, würden nun Menschen gefunden, die bei der Katastrophe ertrunken seien. »Und da könnte man eigentlich nur noch weinen. Das ist ein Horror«, sagt Dreyer. Mehr als 60 Opfer sind zu beklagen. Laut Innenminister Roger Lewentz (SPD) werde von bis zu 100 Vermissten ausgegangen.

In dem von der Hochwasserkatastrophe besonders getroffenen Ahrtal sind noch immer Hubschrauber und Boote unterwegs und retten Menschen. Die Helfer finden in den braunen Fluten auch immer wieder Tote und bergen sie.

Zwölf Bewohner einer Einrichtung für behinderte Menschen sterben

In Sinzig etwa können sich zwölf Bewohner einer Einrichtung für behinderte Menschen am Donnerstag nicht mehr retten und sterben. »Das Wasser drang innerhalb einer Minute bis an die Decke des Erdgeschosses«, sagt der Geschäftsführer des Landesverbands der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz, Matthias Mandos. Die Nachtwache habe es noch geschafft, mehrere Bewohner in den ersten Stock des an der Ahr gelegenen Wohnheims zu bringen. »Als er die nächsten holen wollte, kam er schon zu spät.«

Tausende Helfer sind in beiden Ländern unterwegs. In Nordrhein-Westfalen etwa unterstützten Soldaten Rettung und Bergung mit 495 Männern und Frauen in elf Landkreisen und Städten. In Rheinland-Pfalz packen mehr als 200 Soldaten mit an. Das Technische Hilfswerk (THW) hat in beiden Bundesländern insgesamt 2065 Helfer im Einsatz. Sie retten Menschen, evakuieren Gebäude und verteilen Sandsäcke. Immerhin sanken in einigen Orten die Pegelstände. Es deutete sich leichte Entspannung an.

Die Bundesregierung sagte den Betroffenen Hilfe zu. Um sich einen eigenen Eindruck von der Lage zu verschaffen, will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in die betroffenen Regionen reisen. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will in die Gebiete kommen. Die Katastrophe mache ihn fassungslos, sagt er. In Gedanken sei er bei den Hinterbliebenen der Opfer. »Ihr Schicksal trifft mich ins Herz.« (dpa)