Wiesbaden (dpa) - Nach einem erstaunlich hohen Plus im Jahr 2016 war schon vom großen »Baby-Boom« in Deutschland die Rede. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Geburten jedoch wieder leicht gesunken, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Mittwoch mitteilte.
Im vergangenen Jahr kamen in Deutschland rund 785.000 Babys zur Welt - ein Minus von 0,9 Prozent. Auch weil Frauen aus Migrantenfamilien weniger Kinder bekommen haben. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Entwicklung:
Ist der »Baby-Boom« zu Ende?
Die Statistiker sprechen von einer Stabilisierung der Geburtenzahl auf relativ hohem Niveau. 2016 hatte es zwar einen Zuwachs von 7,4 Prozent gegeben. Das große Plus wurde damals vom Bundesamt auch mit einer technischen Umstellung bei der Berechnung begründet. Die durchschnittliche Kinderzahl je Frau - die sogenannte Geburtenziffer - lag im vergangenen Jahr bei 1,57 Kindern (2016: 1,59).
Wieso ist die Geburtenzahl rückläufig?
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB/Wiesbaden) führt die deutlichen Steigerungsraten in den Jahren 2015 und 2016 vor allem auf Zuwanderer-Familien aus nicht-europäischen Ländern zurück wie Syrien oder Afghanistan. Im vergangenen Jahr sank dagegen die Geburtenziffer bei Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit von 2,28 auf 2,15 Kinder. Bei den Deutschen lag der Wert bei 1,45 (2016: 1,46) - insgesamt war der Wert bei den deutschen Frauen in den vergangenen Jahren leicht angestiegen. »Ein Trend, aber nicht dynamisch«, urteilt Prof. Norbert Schneider, Direktor des BiB.
Welche Rolle hat der Bildungsabschluss auf die Kinderzahl?
Eine sehr große. Frauen mit Haupt- und Realschulabschluss ohne Ausbildung bekommen im Schnitt mehr als zwei Kinder, bei Akademikerinnen liegt der Wert unter 1,50 Kindern. Daran hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert. »Typisch deutsch«, nennt Schneider diese Kluft, die es so in keinem anderen europäischen Land gebe. Elterngeld und Ausbau der Kitas hätten aber immerhin dazu beigetragen, einen weiteren Rückgang der Geburtenziffer bei Akademiker-Frauen zu verhindern.
Gibt es Unterschiede zwischen Ost und West?
In den neuen Bundesländern (ohne Berlin) ist die durchschnittliche Zahl der Kinder mit 1,61 deutlich höher als im Westen (1,58). Über diese anhaltenden Differenzen sind Experten verblüfft. Das Geburtenplus im Osten sieht Schneider nicht in ökonomischen Faktoren oder der Infrastruktur begründet, sondern im kulturellen Umfeld. Es gebe dort einen »deutlich geringeren Erwartungsdruck an die gute Mutter und die guten Eltern« als im Westen.
Kann die Kinderzahl wieder deutlich ansteigen?
Fortschritte gibt es für die Experten nur, wenn Familie und Beruf für Eltern besser vereinbar werden. »Männer müssen sich mehr Zeit für ihre Kinder erkämpfen, um ihre Frauen zu entlasten«, sagt Mathias Lerch vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung (Rostock). Wichtig seien flexiblere Arbeitszeiten ähnlich wie in Skandinavien, wo die Vier-Tage-Woche für berufstätige Eltern inzwischen die Regel sei.
»Dann wird sich einiges ändern«, sagt Lerch. Schneider sieht das ähnlich. Dennoch wird die Zahl der Geburten nach Prognose des BiB in einigen Jahren deutlich sinken. Denn jetzt kommen die Frauen aus den geburtenschwachen Jahrgängen der 1990er Jahre ins gebärfähige Alter.