MÜNCHEN. Arbeiten unter Extrembedingungen: Jedes Jahr entscheiden sich Hunderte Frauen und Männer, zwei Wochen auf dem Münchner Oktoberfest zu kellnern. Was macht den Job so besonders? Und wie hält man das eigentlich aus? Drei Servicekräfte im Porträt.
- Die Vorbereitete: Lydia Haas, Pschorr-Bräurosl-Zelt
»Das ist Urlaub für den Kopf«, sagt Lydia Haas, wenn man sie nach dem Reiz ihres Nebenjobs als Wiesn-Kellnerin fragt. Die 26-Jährige bedient heuer zum dritten Mal im Pschorr-Bräurosl-Zelt, wo über 8.000 Menschen Platz haben. Und obwohl sie mit ihrem Team für die lebhaften Reihen vor der Bühne zuständig ist und wie die meisten Kellnerinnen und Kellner die komplette Wiesn durcharbeitet, sagt sie: »Ich gehe am Abend selten platt aus dem Zelt.«
Gute Vorbereitung sei alles: Neue Schuhe kaufen, das Dirndl herrichten, Vitamine besorgen gegen die hinterlistige Wiesn-Grippe. »Wenn es mal losgeht, hat man wenig Lust, sich um so was zu kümmern.« Die 26-Jährige hält sich das ganze Jahr über mit Kraft- und Ausdauersport fit. Bis zu zehn Maßkrüge könne sie tragen, sagt Haas (andere können selbst das toppen, wie in diesem Artikel noch zu erfahren ist). Und die Stimmbänder würden sich durch das viele Schreien beim Austragen wie von selbst trainieren.
Wie so viele Wiesn-Kellnerinnen hat die 26-Jährige eigentlich einen anderen Beruf. Sie arbeitet in Augsburg für einen Automobilhersteller im Verkauf. Für sie sind die zwei Wochen Oktoberfest einfach ein richtiger Tapetenwechsel, erklärt Haas: »Das hier ist eine ganz eigene Welt.« Mit leuchtenden Augen erzählt sie von der lauten Musik, den vielen fröhlichen Menschen, dem Zusammenhalt im Team. »Deswegen machen das auch so viele jedes Jahr wieder.«
- Der Neuling: Christian Kubiciel, Festzelt Tradition
Christian Kubiciel bedient dieses Jahr zum ersten Mal auf dem Oktoberfest. Er ist Teil des Kellner-Teams im Festzelt Tradition auf der »Oidn Wiesn«. »Ich hätte mir den Start nicht besser vorstellen können«, sagt der gebürtige Straubinger nach seinen ersten Tagen als Wiesn-Kellner. Die größte Herausforderung sei das Tragen der Maßkrüge gewesen.
Gleich am ersten Tag stand der 28-Jährige vor der Aufgabe, zehn Krüge an die Tische zu bringen. Was viele nicht wissen: Die Griffe der Steinkrüge werden bei der Herstellung nachträglich angebracht. Das führt laut Kubiciel dazu, dass man jeden Henkel etwas anders greifen muss. Bis sich Hände und Finger daran gewöhnen, dauere es ein wenig. Aber schon am zweiten Tag sei ein »Zehner-Zug« kein Problem mehr gewesen, sagt der Niederbayer stolz. Kubiciel hat schon einige berufliche Stationen hinter sich. Der gelernte Bankkaufmann arbeitete eine Zeit lang als Schauspieler und ist mittlerweile bei einem Münchner Unternehmen im Software-Vertrieb tätig. Per Zufall entdeckte er Anfang des Jahres ein Stellengesuch für das Oktoberfest. Dass er den Job auf der traditionellen Oidn Wiesn bekommen hat, könnte auch an seinem niederbayerischen Dialekt liegen, sagt der Straubinger schmunzelnd. Und was verdient man jetzt als Wiesn-Neuling? Das hänge am Ende vom Umsatz ab, sagt Kubiciel, ein fixes Gehalt gebe es nicht. Wie viel sich der 28-Jährige erhofft, will er nicht verraten. »Ich glaube, grundsätzlich ist auf der Wiesn zwischen 5.000 und 20.000 Euro alles drin.«
- Der Tiktok-Star: Verena Angermeier, Schützen-Festzelt
Über 130 Millionen Mal ist ihr bekanntestes Video auf der Online-Plattform Tiktok schon aufgerufen worden. Verena Angermeier stapelt dort mit einer besonderen Technik ganze 13 volle Maßkrüge aufeinander und trägt ihre 30 Kilogramm schwere Ladung locker davon. Mit dem kurzen Film ist die Wiesn-Kellnerin im Schützen-Festzelt vergangenes Jahr zu einem Internet-Star geworden. Dass sich für das spontane Video Millionen von Menschen auf der ganzen Welt interessieren würden, habe sie nicht erwartet, erzählt Angermeier bei einem Besuch im Zelt. Durch ihre Bekanntheit verkehrt sie mittlerweile in prominenten Kreisen. Erst vor wenigen Tagen drehte sie für ein Interview mit der Influencerin Cathy Hummels eine Runde im Riesenrad. »Ich werde auch ziemlich oft angesprochen«, berichtet die 31-Jährige, die in den sozialen Medien schon Heiratsanträge erhielt. Wobei ihr die viele Aufmerksamkeit bisweilen peinlich sei, sagt Angermeier in ihrer sympathischen Art. Während der Wiesn wohnt Angermeier, die mit ihrer Familie eigentlich im niederbayerischen Wallersdorf lebt, gemeinsam mit sechs anderen Kellnerinnen in München. Die geteilte Wohnung kostet laut der 31-Jährigen gut 400 Euro pro Person. Andere Wiesn-Kellner müssen da tiefer in die Tasche greifen. »Viele zahlen weit über 1.000«, verrät sie. Zu Hause in Wallersdorf kümmert sich zwei Wochen lang ihr Ehemann um Sohn und Haushalt. Mal schnell heimfahren? Das ist nicht drin. »Es fällt mir unglaublich schwer und ich habe ein mega schlechtes Gewissen. Aber ich wäre auch dumm, wenn ich es nicht machen würde«, erklärt die Kellnerin. (GEA)

