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Corona beflügelte die Küchenchefs: so viele Sterne wie nie

Für Gastronomen war die Pandemie alles andere als leicht. Lockdown, Sperrstunde, geringere Auslastung - die Restaurants hatten zu kämpfen. Es blieb jedoch Zeit für neue Ideen und kulinarische Experimente.

Restaurantauszeichnung Michelin
Der Restaurantführer »Guide Michelin« hat wieder einmal Sterne vergeben. Foto: Daniel Löb
Der Restaurantführer »Guide Michelin« hat wieder einmal Sterne vergeben.
Foto: Daniel Löb

Obwohl die Corona-Pandemie vielen Gastronomen zu schaffen gemacht hat, haben die Zwangspausen die Spitzenköche im Land zu Höchstleistungen angespornt.

Mit neuen Rezepten und Arrangements erkochten sich Küchenchefinnen und -chefs in Deutschland damit so viele Michelin-Sterne wie nie zuvor, wie der Direktor des »Guide Michelin« für Deutschland und die Schweiz, Ralf Flinkenflügel, der Deutschen Presse-Agentur, sagte. »Sie haben die Zeit genutzt, um sich zu hinterfragen und haben vieles besser gemacht.« Und so sind im neuen »Guide Michelin« genau 327 Sterne-Restaurants zu finden. Der Gourmetführer für 2022 ist am Mittwoch in Hamburg vorgestellt worden.

Flexibilität und Mut

»Das ist ein Rekordjahr. Das hat uns sehr verwundert.« Denn das Jahr sei für die Branche gleichzeitig pandemiebedingt auch ein »unheimlich schwieriges Jahr« gewesen. »Es war schon wirklich sehr erstaunlich, wie gut die Gastronomen das alles gemeistert haben.« Die Küchenchefinnen und -chefs hätten dabei viel Flexibilität, Mut und Widerstandsfähigkeit an den Tag gelegt.

Besonders begeistert waren die Michelin-Inspektoren bei ihren Besuchen in Rheinland-Pfalz vom »Weltklasse«-Essen des Küchenchefs Thomas Schanz. Das »schanz.restaurant« im Weinort Piesport hat sich damit einen dritten Stern ergattert und gehört nun zur Spitze der deutschen Gastronomie. Schanz selbst zeigte sich am Mittwoch in Hamburg sehr überrascht von der kulinarischen Ehre. Er habe ja schon zwei Sterne. »Es ist unfassbar, muss ich sagen. Jetzt drei Sterne zu bekommen - das ist ein ganz großer Traum, der hier in Erfüllung geht. Das ist ganz groß«, sagte er nach der Verleihung. Damit gibt es in Deutschland nun neun Drei-Sterne-Restaurants.

46 Zwei-Sterne-Restaurants

Zudem sind fünf Restaurants aus Bayern und jeweils eins aus Baden-Württemberg, Hamburg und dem Saarland dank der Kochkünste ihrer Küchenchefs in die Riege der nun 46 Zwei-Sterne-Restaurants aufgenommen worden. In den kurzen Dankesreden der Sterneköche ging es immer wieder um den lang ersehnten Lebenstraum, der sich mit den Michelin-Sternen nun erfülle. Im Mittelpunkt standen aber auch immer die Kollegen der Küchenchefs, wie beispielsweise Edip Sigl vom »Es:senz« im oberbayerischen Grassau sagte. »Das ist keine Einzelleistung, sondern eine absolute Teamleistung. Das ist wirklich Hochleistungssport, der hier abgerufen wird.« Sigl durfte für sich und sein Team einen zweiten Stern mit nach Hause bringen.

Gleichzeitig tragen 272 Restaurants jeweils einen Stern - in dieser Kategorie sind 31 Restaurants neu dazugekommen. Elf grüne Sterne gab es zudem für umweltbewusstes und ressourcenschonendes Handeln in der Küche. Die Auszeichnung Bib Gourmand haben 18 Restaurants für gute Küche zu moderaten Preisen neu ergattern können.

Dass das Erarbeiten der Sterne gerade in der Corona-Zeit durchaus herausfordernd war, klang auch bei so mancher Dankesrede an. So sagte der Küchenchef Tohru Nakamura vom Münchner »Tohru in der Schreiberei«, der einen zweiten Stern bekam: »Es war ein heißer Ritt, 24 Monate wirklich durch Höhen und Tiefen zu gehen. Es ist schon cool.«. Küchenchef Benjamin Chmura vom »Tantris« in München, das nun ebenfalls zwei Michelin-Sterne vorweisen kann, fand ebenfalls klare Worte. »Es war eine große Sache in den letzten Monaten. Es gab viel Tränen und Schweiß, aber das war es wert.«

Die meisten Sterne-Restaurants sind übrigens nach wie vor in den Großstädten und den als kulinarisch bekannten Hochburgen zu finden. Daran habe auch Corona nichts geändert. »Ich sehe da keine Landflucht.«

Casual Fine Dining im Trend

Vegetarische Gerichte und ungezwungene Atmosphäre - das sogenannte Casual Fine Dining - sind in den guten Restaurants weiterhin als Trends deutlich erkennbar. »Dieses elitäre Gehabe von vor 20, 30 Jahren findet einfach nicht mehr statt.« Zudem sei es mittlerweile in vielen Sterne-Restaurants »fast schon obligatorisch«, dass gleichzeitig auch ein vegetarisches Menü angeboten werde. Unter den ausgezeichneten Sterne-Küchen sind auch mehrere rein vegetarische Restaurants.

Die Küchenchefinnen sind weiter auf dem Vormarsch - wenn auch langsam. So finden sich unter 327 Spitzenköchen nun 16 Frauen - 2 mehr als im vergangenen Jahr. »Es gibt Jahr für Jahr eine leichte Tendenz nach oben«, sagte Flinkenflügel. Von einer Explosion in diesem Bereich könne aber keine Rede sein. »Das darf gerne mehr werden.« Hauptgrund für den Unterschied bei den Geschlechtern sei, dass viel weniger Frauen diesen Beruf überhaupt erlernten.

Um Restaurants zu bewerten, gehen die internationalen Michelin-Inspektoren anonym in die Restaurants. Das Ambiente spielt bei der Bewertung übrigens keine Rolle. Der Stern ist den Angaben nach eine reine Küchen-Auszeichnung. Das Essen stehe dabei im Mittelpunkt. Das sollte vom Geschmack her perfekt zusammenpassen. »Harmonie ist ein gutes Schlagwort. Wir achten außerdem auf die Qualität der Produkte, die Originalität, das handwerkliche Geschick sowie die Beständigkeit der Gerichte«, sagte Flinkenflügel. Deshalb besuchen die Tester die Restaurants auch mehrfach. »Um festzustellen, ob das Niveau auch über einen gewissen Zeitraum gehalten wird und über die gesamte Karte hinweg gut ist.«

Die ersten Michelin-Sterne in Deutschland wurden 1966 verliehen. Im internationalen Vergleich muss sich die deutsche Spitzenküche weiterhin auf jeden Fall nicht verstecken, so Flinkenflügel. »Hinter Frankreich nimmt Deutschland schon eine sehr, sehr entscheidende Rolle ein.«

© dpa-infocom, dpa:220309-99-448580/4