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Aktuell Prozess

Assange kämpft vor Gericht gegen seine Auslieferung

Das Berufungsverfahren in London könnte zu einem Präzedenzfall für die Pressefreiheit werden

Stella Maris (Mitte), Lebensgefährtin von Wikileaks-Gründer Assange, beantwortet vor dem Gericht Fragen der Journalisten.  FOTO
Stella Maris (Mitte), Lebensgefährtin von Wikileaks-Gründer Assange, beantwortet vor dem Gericht Fragen der Journalisten. FOTO: MANNING/DPA
Stella Maris (Mitte), Lebensgefährtin von Wikileaks-Gründer Assange, beantwortet vor dem Gericht Fragen der Journalisten. FOTO: MANNING/DPA

LONDON. Eine Causa Célèbre geht in die nächste Runde. Julian Assange wehrt sich gegen seine Auslieferung an die USA. Gestern begann ein zweitägiges Berufungsverfahren vor dem Londoner High Court. Berufung eingelegt hatten die Anwälte des US-Justizministeriums, die eine Entscheidung des Magistrate Court anfechten, der im Januar verfügt hatte, dass der Wikileaks-Gründer nicht in die USA überstellt werden kann.

Eine Auslieferung sei, so damals Richterin Vanessa Baraitser, wegen Assanges psychischem Gesundheitszustand nicht statthaft. In den USA, führte sie aus, würden ihm Isolationshaft drohen, und es wäre nicht auszuschließen, dass er dort »einen Weg finden wird, um sich das Leben zu nehmen«. Das amerikanische Justizministerium hatte die Auslieferung wegen »unbefugter Enthüllung von Verteidigungsinformationen« und deren Weitergabe an andere Medien beantragt. Im Falle einer Auslieferung und einer Verurteilung in den USA würden dem 50-Jährigen bis zu 175 Jahre Gefängnis drohen. Die Causa Assange könnte einen Präzedenzfall schaffen, nach dem US-Behörden weltweit Investigativ-Journalisten anklagen können, sollten sie Berichte veröffentlichen, die der US-Regierung nicht gefallen.

Julian Assange hatte auf der Enthüllungsplattform Wikileaks 2010 und 2011 eine Viertelmillion geheime diplomatische Depeschen des US-Außenministeriums veröffentlicht. Berühmt geworden ist ein Video aus dem Cockpit eines Apache-Helikopters, das dokumentiert, wie die Piloten das Feuer auf einen Minibus eröffnen. In dem Video ist zu sehen, wie ein Dutzend unbewaffnete Zivilpersonen und Journalisten zu Opfern eines Angriffs werden, den Assange dann als »Collateral Murder« bezeichnete. Die aus den Wikileaks-Veröffentlichungen resultierende Flut an kompromittierenden Enthüllungen ließ Assange zur Hassfigur in den USA werden. Amerikanische Politiker verlangten die Todesstrafe für den gebürtigen Australier. In der übrigen Welt brachte ihm die Dokumentation von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen durch US-Streikräfte einen Journalismus-Preis nach dem anderen ein.

Gesundheit angeschlagen

Im Juni 2012 flüchtete Assange in die ecuadorianische Botschaft in London und beantragte Asyl, um einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen, wo man ihm Sexualdelikte vorwarf. Assange fürchtete, dass er aus Schweden an die USA ausgeliefert würde. Sieben Jahre lang verblieb Assange im selbstgewählten Hausarrest, bevor ihm Ecuador 2019 das Asyl entzog und der britischen Polizei erlaubte, ihn in der Botschaft festzunehmen. Seitdem sitzt Assange im Hochsicherheitsgefängnis von Belmarsh ein, das von seiner früheren Anwältin und jetzigen Verlobten Stella Moris, als »britisches Guantanamo« bezeichnet wurde. Moris konnte ihn mit ihren beiden gemeinsamen Söhnen kurz vor dem Berufungsverfahren besuchen und berichtete, dass Assange abgemagert und seine Gesundheit gefährdet sei. »Eine Auslieferung«, sagte Moris bei einer Veranstaltung der Foreign Press Association (FPA) in London, »würde Julian nicht überleben.« An der Verhandlung gestern konnte Assange nicht persönlich teilnehmen.

Vor Gericht werden Anwälte argumentieren, dass die Sorgen über Assanges psychologischen Gesundheitszustand übertrieben und er nicht suizidgefährdet sei. Man hatte im Sommer einen Bündel an Versicherungen vorgelegt, darunter das Versprechen, dass ihm in den USA keine Isolationshaft in einem Hochsicherheitsgefängnis drohen werde und die Aussicht, dass er seine Strafe möglicherweise in Australien absitzen könne. Das Team Assange dagegen wird auf eine Veröffentlichung der Nachrichten-Webseite Yahoo News verweisen. Sie hatte im letzten Monat berichtet, dass der US-Geheimdienst CIA unter seinem damaligen Direktor Mike Pompeo geplant habe, Assange zu entführen oder zu ermorden. »Das wird ein Gamechanger im Verfahren«, sagte Moris in London vor der FPA, »Die Frage hier ist doch: Kann Großbritannien jemanden in ein Land ausliefern, das ihn umbringen wollte?«

Das Berufungsverfahren wurde auf zwei Verhandlungstage angesetzt, und eine Entscheidung ist voraussichtlich erst im Dezember zu erwarten. Für beide Seiten wäre dann eine weitere Berufung beim Supreme Court möglich. Rebecca Vincent von »Reporter ohne Grenzen« betonte die Relevanz des Falles für die Pressefreiheit. »Dass es überhaupt soweit gekommen ist«, sagte sie, »hat jetzt schon einen abschreckenden Effekt bei der Berichterstattung über Staatssicherheit weltweit.« (GEA)