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Was Bundestagsabgeordnete aus der Region zum Infektionsschutzgesetz sagen

Karikatur: Tomicek
Karikatur: Tomicek

REUTLINGEN. Bundestag und Bundesrat haben am Mittwoch den Weg für die von der großen Koalition geplanten Änderungen im Infektionsschutzgesetz freigemacht. Im Bundestag stimmten 415 Abgeordnete für die Reform, um die Corona-Maßnahmen künftig auf eine genauere rechtliche Grundlage zu stellen. 236 stimmten dagegen, 8 enthielten sich bei der namentlichen Abstimmung. Anschließend gab es in einer Sondersitzung des Bundesrates auch von der Mehrheit der Bundesländer die Zustimmung zum sogenannten dritten Bevölkerungsschutzgesetz. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fertigte das Gesetz im Anschluss aus, es kann nun nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt Kraft treten. Ist das Infektionsschutzgesetz ein Blankoscheck für die Regierung? Was Bundestagsabgeordnete aus Reutlingen und der Region dazu sagen:

Michael Donth, Bundestagsabgeordneter der CDU. Foto: PR
Michael Donth, Bundestagsabgeordneter der CDU.
Foto: PR

Michael Donth: "Nein, das ist es ganz klar nicht. Im Gegenteil: Das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz bedeutet mehr demokratische Legitimation der Corona-Schutzmaßnahmen, und es stärkt die Rolle des Deutschen Bundestages in dieser Pandemie. Wir entmachten uns doch nicht selbst! Der Deutsche Bundestag hat wie schon bisher jederzeit das Recht und die Möglichkeit, ein Ende der Schutzmaßnahmen zu beschließen und die erteilten Befugnisse wieder an sich zu ziehen.

Zugleich wird aber der Spielraum für die Bundesregierung offengehalten, in einer Extremsituation rasch, effektiv sowie ggf. regional unterschiedlich zu handeln. Innerhalb der nun vom Bundestag vorgesehenen Leitplanken. Im Frühjahr haben wir doch gesehen, dass schnelles Handeln unabdingbar war. Das Gesetz ist deshalb notwendig, weil in letzter Zeit, teilweise auch von Gerichten, die Frage gestellt wurde, ob die gesetzlichen Regelungen klar genug sind, auf deren Grundlage der Bund oder die Länder Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie per Rechtsverordnung anordnen. Deshalb konkretisieren wir diese gesetzlichen Grundlagen jetzt nach acht Monaten Pandemie.

Die Rechtsverordnungen der Länder sind ab jetzt generell befristet und müssen, wenn sie länger als vier Wochen gelten sollen, verlängert und wiederum begründet werden. Juristen nennen das "Grundrechtsschutz durch Verfahren". Wir sind der Auffassung: In dieser schweren Krise brauchen wir größtmögliche Rechtssicherheit. Die Schutzmaßnahmen greifen schon seither für den Gesundheitsschutz teilweise tief in unsere Grundrechte ein. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen erwarten, dass diese Eingriffe auf einem verlässlichen rechtlichen Fundament stehen. Für gravierend grundrechtssensible Verbote wie etwa Versammlungen, Gottesdienste oder Besuchsregelungen in Senioren- und Pflegeheimen legen wir klare zusätzliche Grenzen fest. Solche Verbote dürfen nur erlassen werden, wenn eine wirksame Eindämmung der Coronavirus-Infektionen trotz aller anderen Schutzmaßnahmen erheblich gefährdet wäre. Klar ist, dass wir mit diesem Gesetz einen weiteren Beitrag leisten, Schaden von dem Deutschen Volk abzuwenden. Bevölkerungsschutz ist oberstes Gebot und zwar mit so geringen Eingriffen wie möglich!"

Martin Rosemann (SPD, Tübingen)
Martin Rosemann (SPD, Tübingen) Foto: GEA
Martin Rosemann (SPD, Tübingen)
Foto: GEA

Martin Rosemann: "Das neue Infektionsschutzgesetz ist kein Freifahrtschein für die Regierung. Die kursierenden Gerüchte entsprechen nicht den Tat sachen. Weder wird die Regierung ermächtigt ohne das Parlament zu regieren, noch werden Zwangsmaßnahmen, wie etwa eine Impfpflicht, eingeführt. Die vielen Bürger, die sich an uns Abgeordnete gewandt haben, sind einer Desinformationskampagne auf den Leim gegangen, die den Inhalt des neuen Gesetzes falsch darstellt und haltlose Anschuldigungen formuliert. Der oft gezogene Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten ist Hohn für all deren Opfer und eine verabscheuungswürdige Entgleisung. Das Gesetzt schafft die Rechte des Parlaments 18 nicht ab, es stärkt sie. Bisher wurden die 19 Schutzmaßnahmen durch Verordnungen der 20 Länderregierungen ergriffen. Fortan müssen 21 sich die Maßnahmen des Bundes und der 22 Länder in einem engen, vom Bundestag 23 gesteckten Rahmen bewegen und können 24 jederzeit vom Bundestag widerrufen werden. 25 Die Maßnahmen werden weiterhin nur zeitlich 26 befristet erlaubt sein und müssen stets auf ihre 27 Verhältnismäßigkeit überprüft werde. Ist diese 28 nicht mehr gegeben, werden die Maßnahmen 29 beendet. Die Regierung hat dem Parlament 30 dazu regelmäßig zu berichten. Das Gesetz 31 stärkt daher die Rechte des Parlaments 32 deutlich.

Erhebt schwere  Vorwürfe gegen die AfD: Beate Müller- Gemmeke (Grüne) FOTO: PRIVAT
Beate Müller-Gemmeke (Grüne) FOTO: PRIVAT
Beate Müller-Gemmeke (Grüne) FOTO: PRIVAT

Beate Müller-Gemmeke: »Nein. Natürlich nicht. Mit diesem Gesetz wird die Bekämpfung der Corona-Pandemie demokratisch legitimiert und bekommt eine solide gesetzliche Grundlage. Damit gibt es jetzt Leitplanken, unter welchen Bedingungen in unsere Grundrechte eingegriffen werden darf, um die Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitswesens zu erhalten. Entsprechende Maßnahmen müssen künftig gut begründet sein und sind grundsätzlich befristet. Ziel dieses Gesetzes ist es nicht, das Grundgesetz einzuschränken, sondern den Zweck, die Bedingungen und die zeitlich befristeten Grenzen von möglichen Eingriffen aufgrund der Corona-Pandemie klar und transparent zu definieren. Wir haben bereits einen Antrag dazu eingebracht und in den vergangenen Tagen in Verhandlungen den Gesetzentwurf der Regierung noch deutlich verändern können. Damit haben wir bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie endlich mehr Rechtstaatlichkeit erreicht. Gleichzeitig ist mit diesem Gesetz weiterhin zügiges Reagieren auf das Infektionsgeschehen möglich. Immerhin befinden wir uns mitten in der Pandemie. Da gilt es, das Leben und die Gesundheit aller so gut wie möglich zu schützen.«

Jessica Tatti (Die Linke, Reutlingen)
Jessica Tatti (Die Linke, Reutlingen) Foto: Privat
Jessica Tatti (Die Linke, Reutlingen)
Foto: Privat

Jessica Tatti: "Meine Fraktion hat das 3. Bevölkerungsschutzgesetz abgelehnt. Nicht, weil es ein Ermächtigungsgesetz wäre, eine Diktatur entstünde oder ein Impfzwang beschlossen würde. Diese Unwahrheiten werden von Rechten bewusst gestreut, um die Unsicherheiten in der Bevölkerung für ihre politische Hetze zu instrumentalisieren.

Ich habe mit Nein gestimmt, weil sich die Bundesregierung weitreichende Rechte zur Beschränkung von Grund- und Freiheitsrechten einräumt. Ich finde, dass diese ausschließlich eingeschränkt werden dürfen, wenn sie nachvollziehbar der Eindämmung der Pandemie dienen. Und genau darüber muss zwingend öffentlich im Parlament diskutiert und entschieden werden. Nur das schafft Akzeptanz als Grundvoraussetzung, die Pandemie in den Griff zu bekommen.

Tausende Nachrichten haben mich erreicht und ich bedanke mich, dass so viele Menschen ihre Bedenken und Sorgen teilen. Für Viele haben die Einschränkungen massive wirtschaftliche und soziale Folgen. Denken wir an die Kulturschaffenden und kleinen Selbstständigen wie Restaurants und Taxibetriebe. Denken wir an diejenigen, die ihre Jobs verloren haben oder Angst davor haben. Damit müssen wir als Politiker verantwortungsbewusst umgehen."

»Die Jobcenter müssen personell besser ausgestattet werden«, fordert der Reutlinger FDP-Bundestagsabgeordnete  Pascal Kober.Foto
Der Reutlinger FDP-Bundestagsabgeordnete Pascal Kober. Foto: Privat
Der Reutlinger FDP-Bundestagsabgeordnete Pascal Kober.
Foto: Privat

Pascal Kober: »Leider überträgt das neue Infektionsschutzgesetz viel zu weitreichende Befugnisse bei Grundrechtseinschränkungen auf die Regierung. Deshalb haben wir Freie Demokraten dagegen gestimmt. Geht es um Grundrechtseinschränkungen muss die Verantwortung eindeutiger auf Seiten des Parlamentes liegen. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Debatten um die wirksamsten und zugleich angemessensten Lösungen im Parlament zu kurz gekommen sind. Über alternative Krisenstrategien zur Bekämpfung der Pandemie muss öffentlich geredet werden. Konstruktive Debatten in der Sache führen zu den besten Sachentscheidungen und ermöglichen es den Menschen, die Argumente und Maßnahmen zu verstehen. Was wir jetzt brauchen ist eine Krisenstrategie, die auch über einen längeren Zeitraum Anwendung finden kann, wenn der Impfstoff auf sich warten lässt. Hierzu hat die FDP präzise Gegenvorschläge unterbreitet, wie beispielsweise drei typische Infektionslagen definiert und diesen Lagen konkrete, zielgerichtete Maßnahmen zugeordnet werden können. Die Finanzierung undifferenzierter Schließungen mit immer neunen Schulden ist eine «Nach-mir-die-Sintflut»-Politik einer Kanzlerin, die ihrem Ruhestand entgegensieht.« (GEA)