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Warnung vor »Personalkollaps« im Bildungssystem

Klagen über fehlende Lehrkräfte und zu wenig Kita-Personal sind zwar nicht neu. Aber der Personalmangel wird nach Einschätzung von Experten das Bildungssystem langfristig schwer unter Druck setzen.

Nationaler Bildungsbericht 2022
Der Nationale Bildungsbericht Bericht wird alle zwei Jahre unter Federführung des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) erstellt. Foto: Marcel Kusch
Der Nationale Bildungsbericht Bericht wird alle zwei Jahre unter Federführung des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) erstellt.
Foto: Marcel Kusch

Trotz zum Teil kräftigen Personalzuwachses in Kitas, Schulen und Hochschulen in den vergangenen zehn Jahren stehen dem deutschen Bildungssystem nach Expertenansicht schwierige Zeiten wegen Fachkräftemangels bevor.

»Die Frage des Personalbedarfs ist eine der drängendsten«, sagte der geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), Kai Maaz, am Donnerstag in Berlin anlässlich der Vorlage des Nationalen Bildungsberichts. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnte vor einem »Personalkollaps«.

Der umfangreiche Report wird alle zwei Jahre unter Federführung des DIPF erstellt. Der Bildungsforscher Maaz stellte ihn im Beisein von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und der Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien (CDU) vor.

Personalgewinnung und Personalqualifizierung bleibe in den kommenden Jahren vordringlich für weiterhin hochwertige Bildungsangebote, heißt es im Bericht. »Die Frage ist ja nicht nur, wie kommen wir an zusätzliches Personal? Es ist auch unklar, wo es herkommen soll. Wir werden hier möglicherweise Verteilungskämpfe auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt erleben«, sagte Maaz. In vielen Bereichen der Wirtschaft oder im Gesundheits- und Pflegebereich werden auch händeringend Fachkräfte gesucht.

Schwerpunkt »Bildungspersonal«

Auf etwa 400 Seiten werden im Bildungsbericht Entwicklungen, Trends und Probleme im gesamten Bildungssystem beschrieben - von der Kita, über die Schulen, die Berufs- und Hochschulen bis zur Weiterbildung. Die Wissenschaftler haben dafür Daten aus Statistiken und Studien ausgewertet und wählten dieses Mal das »Bildungspersonal« als Schwerpunktthema, was die Dringlichkeit verdeutlichen soll.

In dem Report ist zwar die Rede davon, dass sich etwa in Kitas, Schulen und Hochschulen die Personalstärke seit 2010 »teils merklich« erhöht habe. »Allein Kindertageseinrichtungen verzeichneten einen Personalzuwachs von 75 Prozent«, heißt es. Da aber auch die Zahl der Kinder in den Kitas gestiegen ist, gebe es trotzdem lediglich geringe Verbesserungen im Zahlenverhältnis Kinder pro Erzieherin.

Und der Personalbedarf wird nach Ansicht der Autoren weiter steigen, besonders in der Frühen Bildung. Bis 2025 könnten hier bis zu 72 500 Fachkräfte fehlen. Dazu kommt der beschlossene Anspruch auf Ganztagsbetreuung, der schrittweise ab dem Schuljahr 2026/2027 bundesweit eingeführt wird. Dadurch werde im Grundschulbereich bis 2030 ebenfalls mit einem großem Zusatzbedarf von bis zu 65.600 Fachkräften gerechnet.

System im Teufelskreis

GEW-Chefin Maike Finnern sagte am Donnerstag, das System befinde sich in einem Teufelskreis aus Überlastung durch Fachkräftemangel und Fachkräftemangel durch Überlastung. »Es droht ein Personalkollaps.«

Prien sagte, der Fachkräftemangel betreffe alle Lebensbereiche und Branchen, auch den Bildungsbereich. Sie verwies auch auf unvorhersehbare Entwicklungen. So seien bisher etwa 140 000 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine »relativ leise« in das Schulsystem integriert worden. Auch ein »verändertes Reproduktionsverhalten«, sei etwas, was man nicht vorhersehen könne, sagte die schleswig-holsteinische Bildungsministerin mit Blick auf gestiegene Geburtenzahlen. Als weitere Faktoren für steigenden Personalbedarf werden außerdem immer wieder gestiegene Anforderungen an Schulen, wie Inklusion oder Sprachfördermaßnahmen und auch die Zuwanderung genannt.

Weitere Punkte im Bildungsbericht:

Bildungserfolg hängt von der Herkunft ab

Der Befund ist bekannt und wird erneut bestätigt: Kinder von Eltern, die besser verdienen und eine hohe Bildung haben, haben mehr Erfolg in der Schule und auf dem späteren Bildungsweg. In dem Bericht klingt das so: »Die Bildungserfolge stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der sozioökonomischen Situation der Familie«.

Bildung zahlt sich aus

»Bildungsabschlüsse und Kompetenzen im Schul- und Erwachsenenalter erweisen sich auch hinsichtlich nichtmonetärer Aspekte als ertragreich«, heißt es im Bericht. Übersetzt: Bildung zahlt sich nicht nur finanziell aus, durch bessere Jobs. Schüler mit besseren schulischen Leistungen seien mit ihrem Leben auch zufriedener. Und Erwachsene mit höheren Lesekompetenzen schätzten ihre Lebenszufriedenheit höher ein als solche mit geringerer Kompetenz.

Weniger Schulabbrecher, aber Niveau etwa gleich

Die Schulabbrecherquote ist leicht gesunken, bewegt sich aber in etwa auf dem Niveau der vergangenen zehn Jahre bei rund 6 Prozent der gleichaltrigen Bevölkerung. 2020 haben demnach etwa 45.000 Jugendliche ohne einen Abschluss die Schule verlassen. Den meisten gelinge es aber später einen Abschluss nachzuholen, heißt es auch.

Boom bei Kitas

92 Prozent der drei- bis sechsjährigen sind inzwischen in einer Tagesbetreuung. Auch die ganz Kleinen: Mehr als ein Drittel der unter Dreijährigen geht in die Kita oder wird betreut. Die Autoren sehen hier einen deutlichen Anstieg in den vergangenen zehn Jahren.

»Sättigung« beim Studium

Inzwischen nimmt laut Bericht fast die Hälfte der jungen Erwachsenen ein Studium auf. Hier wurde laut Bericht aber möglicherweise nun ein »Sättigungsniveau« erreicht. »Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass sich die Studiennachfrage in den kommenden Jahren nicht weiter erhöhen wird.«

© dpa-infocom, dpa:220623-99-773193/3