REUTLINGEN. Empörung herrscht auf der Schwäbischen Alb über die Art, wie das Dorfleben in einem Tatort dargestellt wird. Eine »antiquierte Erzählweise, die vielleicht vor 30 Jahren noch Relevanz gehabt hat« nennt es der Lindenhof-Schauspieler Franz-Xaver Ott. Doch hinter der Empörung steckt mehr als nur der Ärger darüber, dass ein fiktiver Film nicht die Realität auf dem Land darstellt. Sie ist vielmehr Ausdruck eines gesellschaftlichen und medialen Phänomens.
Eine Generation junger Fernsehmoderatoren trainiert sich das gesprochene Gendersternchen, den Glottisschlag, an und feilt in Sprechtrainings die letzten Reste noch vorhandenen Dialekts ab. Denn ersteres gilt als fortschrittlich, letzteres als rückständig. Dialekt bleibt im Fernsehen jenen vorbehalten, die sich ihren Heldenstatus durch Körperlichkeit und Willenskraft geschaffen haben: den ehemaligen Sportstars, die nun als Co-Kommentatoren arbeiten. Weil sie dem TV-Klischee des authentischen Naturburschen entsprechen, dürfen Schweini, Klinsi oder Kloppo als Teil ihres Markenkerns Dialekt sprechen.
Doch nicht nur die Medienlandschaft, auch das Landleben hat sich verändert. Einst waren im Dorf Kneipe und Bäckerladen die Treffpunkte - Pfarrer und Hausarzt Respektspersonen. Heute haben viele Dörfer weder Kneipe, noch Bäcker, noch einen eigenen Pfarrer. Dafür soll die Notfallpraxis geschlossen werden, die vor einiger Zeit den Hausarzt ersetzte. Nicht genug, dass über diese Themen im TV wenig berichtet wird, muss sich die Landbevölkerung obendrein noch im TV verspotten lassen. Ob im Tatort oder bei Bauer sucht Frau - Landbewohner scheinen die letzte Minderheit, über die man noch Vorurteile äußern darf. Während über Antisemitismus, Antiziganismus, Homophobie, Transphobie oder Islamophobie diskutiert wird, gibt es für Voreingenommenheit gegenüber der Landbevölkerung noch nicht einmal einen medial etablierten Namen. Vielleicht sollte Markus Lanz einmal diskutieren, ob man es Antiruralismus oder Antiagrarismus nennt.